Ein altes Babyfoto zeigt eine Mutter mit ihrem Kind. Daneben eine düstere Zeichnung, die ein bedrohliches Monster symbolisiert. In der Mitte trennt ein Riss beide Bildhälften. Darauf steht in großer Schrift ‚Sucht‘ und ‚Monster‘

Das Monster in meinem Kind

Nach vielen Jahren, in denen ich immer dachte, ich kann etwas ausrichten, ich muss nur unterstützen, wenn ich meinem Kind, das nun erwachsen ist, zeige, dass ich es liebe, dann wird es sich auch selbst lieben … meine Liebe ist so groß, sie wird helfen. Nach all diesen vielen, vielen Kämpfen. Nach Wut, Verzweiflung, Nachsicht, Geld geben, mich selbst verschulden, weiterkämpfen, Ausreden finden … nach all dem weiß ich heute – ich habe es nicht in der Hand. Es hat 17 Jahre gedauert, bis ich das so sehen kann.

Akzeptieren, dass Liebe nicht reicht

Nichtsdestotrotz glaube ich nicht, dass es verschwendete Zeit oder Geld war. Ich musste das alles tun, ich musste diesen Kampf führen. Ich habe nur so lange nicht gesehen, dass ich alleine kämpfe. Daher strecke ich jetzt die Waffen nieder. Ich habe diesen Kampf verloren. Ich konnte ihn nicht gewinnen.

Ich akzeptiere, dass mein Sohn diesen Weg nicht mit mir gehen will. Dass Liebe nicht reicht, wenn das Gegenüber sie nicht annimmt, dass mein Kampf nicht sein Kampf war und ist. Was weiß ich schon von seinen Dämonen, die im Moment das Ruder übernommen haben. Ich weiß nur, dass ich mich jetzt schützen muss. Nicht vor meinem Kind – aber vor eben diesem Dämon, der es besetzt. Mir hilft es, mir bildlich vorzustellen, dass nicht mein Sohn dasteht, sondern die Sucht mit ihrer miesen Fratze.

Denn dieser Fratze bin ich hilflos gegenüber, dieser Fratze kann ich nur den Weg raus aus meinem Leben weisen. Ich verlasse nicht mein Kind, ich lasse das Monster nicht mehr so nah an mich ran. Denn mein Kind ist gerade verloren.

Dieser Dämon teilt weder meine Werte, noch meine Liebe, noch mein Leben. Er will zerstören und ich muss ihn ziehen lassen. Jetzt kann nur noch mein Sohn selbst das Monster bekämpfen. Meine Tür ist für ihn immer offen, für das Monster nicht mehr.

Sucht zieht sich durch mein Leben

Ich habe nicht nur ein suchtkrankes Kind, sondern hatte schon suchtkranke Eltern, Partner und Freunde. Es ist ein Wunder, dass ich nicht süchtig geworden bin. Aber ich ziehe das Thema an wie ein Magnet. Und was mich immer wieder so bestürzt ist die Tatsachenverdrehung bei Süchtigen. Es sind nie sie, die Schuld sind, die Ärger provozieren oder die andere unglücklich machen. Ihre gesamte Perspektive ist verdreht.

Als Kind bin ich in einer Blase aus wirren Lügen aufgewachsen, eine Realität, wie meine Freunde sie kannten, gab es eigentlich nicht. Alles war – schöner – Schein. Meine Familie war angesehen, nach außen lief es gut. Hinter den Kulissen war alles wirr. Es gab keine großen Alkoholdramen, mehr die „normalen“ Abstürze abends und an den Wochenenden. Und sehr große Lebenslügen. So bin ich aufgewachsen, Alkoholabstürze, später Medikamentensucht bei meiner Mutter, all das gehörte einfach dazu.

Ich musste sehr lange lernen, dass es nicht normal ist, dass Menschen ihre Meinungen andauernd ändern. Dass es nicht normal ist, dass man sich nicht verlassen kann auf andere. Dass nicht ich Schuld bin, wenn andere wütend, traurig oder verloren sind. Dass es nicht normal ist, dass man angeschrien und beleidigt wird.

Zu spät erkannt

Da für mich diese Dinge leider sehr normal waren, habe ich viel zu spät verstanden, auf welchen Weg mein Sohn abgebogen ist. Ich habe es tausendundeinmal entschuldigt. „Pubertät, Liebeskummer, fiese Chefs, komische Freundinnen…“ – ich hatte immer  für meinen Sohn eine Ausrede, warum er mich und andere schlecht behandelt hat.

Mein Selbstverständnis war „schuldig in jedem Sinne der Anklage“.

Die Fratze der Sucht – und meine einzige Waffe: Selbstschutz

Das ist vielleicht die ganz fiese Fratze der Sucht, dass sie andere gar nicht mehr als Menschen wahrnimmt. Sie tobt im Inneren der Süchtigen und zerstört jegliche Empathie und Fürsorge, selbst für die eigene Familie. Die Sucht macht egozentrisch, sie nimmt die Menschen komplett ein. Bis nichts mehr übrig ist.

Das zu erleben bei meinem eigenen Kind, das ich von der ersten Sekunde an so sehr geliebt habe – das Akzeptieren, dass der Mensch meistens gar nicht mehr vorhanden ist, sondern die Sucht mir entgegengrinst, das war die härteste Lektion. Aber es ist vielleicht die, die mich lehrt, dass ich mich abgrenze. Denn dagegen habe ich nichts in der Hand. Die Sucht hat sich mein Kind geschnappt und solange es sich einsperren lässt, muss ich mich schützen. Meine einzige Waffe ist meine Selbstfürsorge. Ansonsten sitze ich mit drin im Gefängnis. Und das hat mein Leben nicht verdient. 

9 Kommentare

  1. Danke! Eine sehr gute Schilderung der Situation, ich fühle genau dasselbe. Nur habe ich noch keinen Weg der Selbstfürsorge entdeckt und bin noch auf der Suche. Heißt, das Monster hält mich auch noch in seinen Klauen…. es dauert noch, bis ich wirklich alle Waffen hinschmeißen kann, um mich selbst in Sicherheit zu bringen. Obwohl ich weiß, dass ich nur dieses eine Leben habe….

    1. Liebe Antje, ich habe mit ganz kleinen Schritten angefangen. Mir hat Sport immer geholfen, also bin ich wieder joggen gegangen. Erst unregelmäßig, mittlerweile hat das Laufen einen festen Platz in meinem Leben. Es räumt meinen Kopf auf. Ich achte bewusst darauf, wie ich mich kleide, gehe zur Maniküre, kaufe mir Blumen… klingt banal, lässt mich aber so nicht eintauchen in die Angst und Hilflosigkeit. Und mein Job gibt mir großen Halt. Die Normalität dort, der Umgang mit Menschen, die diese Probleme nicht haben, tut gut. Aber ich spreche offen über unsere Situation, wenn es passt. Kein Schönreden mehr, kein Verharmlosen. All das hilft mir, ich glaube, jeder muss kleine Dinge finden, die einem gut tun. Ich wünsche dir viel Kraft und Liebe für dich selbst!

  2. Ja Sebstschutz ist das einzige was einem hilft, wenn man selbst nicht mehr wirklich was bewirken kann, weil das eigene Kind volljährig geworden ist und jetzt selbst alle Entscheidungen treffen muss. Unser Sohn ist jetzt 25 Jahre alt und nimmt seit er 15 Jahre alt ist Drogen. Er hat sein Leben nicht im Griff und wir halten uns weitestgehend aus seinem Leben raus, mit der Option, dass er wenn er echte Hilfe annehmen will, z. B. durch eine Therapie, wir für ihn da sind. Es war ein schwieriger Weg bis dahin… Ein bisschen Hoffnung bleibt…

    1. Die Hoffnung muss immer bleiben, es geht weiter auf alle Fälle. Ich lebe bewusster und weiß, dass unser Leben fragil ist. Jede schöne Stunde mit meinem Sohn genieße ich besonders, in den schlechten schaffe ich Rückzugsorte. Was die Zukunft bringt, wissen wir nicht. Alles Liebe!

  3. Danke, du gibst mir gerade sehr viel Kraft ; genau wie die anderen Kommentare. Ich denke auch, dass Selbstschutz/ Abgrenzung ganz wichtig sind. Man hat nur das Gefühl ihn fallen zu lassen und dass es dann nur noch schlimmer wird. Nach dem Suizid meines Mannes kommt dazu, dass ich immer Angst habe, dass mein Sohn auch diesen Weg geht. Es gibt dafür keinerlei Anzeichen, aber die gab es bei meinem Mann auch nicht. Und was weiß ich schon, wie es wirklich in ihm aussieht…
    Und doch hab ich es nicht in der Hand 😔

    1. Liebe Jana, deine Geschichte berührt mich sehr, es ist schlimm, dass du zwei solcher Schicksalsschläge erleben musst. Wir können niemandem helfen, der es nicht zulässt. Das ist die härteste Prüfung für jeden von uns, dass Liebe eben nicht ausreicht. Ich hoffe sehr, dass du einen guten Therapeuten oder Coach gefunden hast. Und ich wünsche dir sehr, dass du mit deinem Sohn einen Weg findest. Ich suche den auch noch, eine dauernde Gratwanderung zwischen Abgrenzung, Brücken bauen und Selbstreflektion. Denn ich kann mich ja nicht rausnehmen, ich muss mir auch ansehen, wo ich nicht hinsehen wollte lange Zeit. Je stärker die Beziehung zu mir selbst ist, desto besser kann ich mit meinem Sohn und seiner Sucht umgehen. Radikale Ehrlichkeit hilft mir sehr. Alles Liebe für euch!

  4. Grenzen setzen und die Verantwortung abgeben.
    Beides hört sich so einfach an und ist doch so schwer umzusetzen.
    Doch mit dem ersten Versuch meine Grenze zu ziehen, wurde es in kleinen Schritten immer besser.
    Nicht fallenlassen sondern loslassen.
    Nach vorne blicken und die Vergangenheit zurücklassen, wir können sie nicht ändern.
    Alles Liebe!

    1. Ja, kleine Schritte und sich selbst nicht aus den Augen lassen, das hilft. Gestern habe ich in einem Interview den Satz gelesen: seit ich mir selbst alles gebe, was ich mir für meine Kinder gewünscht hätte, komme ich mit mir ins Reine. Das hat eine Frau geschrieben, die keine Kinder hat und auch nicht haben will aber ich konnte das für mich und mein Leben übersetzen und versuche mal, mich selbst etwas zu bemuttern. Um meinen Sohn habe ich so lange gekämpft, jetzt gebe ich mir selbst mal was davon zurück. Alles Liebe!

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