
Dies ist die Geschichte der Suchterkrankung unseres Sohnes irgendwo in Deutschland
Mein Sohn, heute Anfang zwanzig, ist der älteste von drei Kindern und seit seinem 8. Lebensjahr ein Trennungskind. Ein intelligenter Junge, sehr quirlig, sportlich und Typ Einzelgänger. Er hatte nie viele Freunde. In der häuslichen Umgebung mit seinen Geschwistern war der Umgang schwierig, konfliktreich und mühsam für alle.
Im Alter von 11 Jahren bekam er einen PC und da begann der soziale Rückzug. Er war immer im Netz und alle Bemühungen, mit ihm diesbezüglich Regeln aufzustellen, scheiterten. Das Konfliktpotential stieg, gefühlt haben wir nur noch gestritten. Es folgte sein drei- wöchiger stationärer Aufenthalt in der Kinderpsychatrie.
Im Alter von 13 war er das erste Mal betrunken und ab dem Moment beschäftigte er sich offensichtlich mit dem Thema Konsum. Er wollte unbedingt eine Shisha. Es folgte ein Schulwechsel zu einem anderen Gymnasium. Da fand er endlich Anschluss zu anderen Mitschülern. Leider wurde da Gras konsumiert und mein Sohn, mittlerweile 14 JAHRE alt, fing an zu kiffen.
Es begann hier wieder eine sehr konfliktreiche Zeit. Als Antwort auf meine Argumente gegen das Kiffen druckte er mir medizinische Abhandlungen aus, dass der Gebrauch von Cannabis keine Abhängigkeit hervorrufen würde und „gesünder“ sei, als Alkohol zu trinken. Je mehr ich aus Angst dagegen argumentierte, um so mehr konsumierte er.
Die Schule lief gut. Ich besuchte gemeinsam mit meinem Sohn die DROBS Drogenberatung und leider wurde er nicht von der Gefährlichkeit der Konsums überzeugt, sondern im Gegenteil. Er erhielt Tipps, drei Regeln die beim Konsumieren zu beachten wären.
Im Winter 2019 rief mich der Lehrer an, mein Sohn säße bekifft im Unterricht und ich könne ihn anholen. Ab dem Moment war mir klar, dass er ein großes Problem hat und wir die nächste Stufe erreicht hatten.
Er hegte dann Fluchtgedanken. Er wollte unbedingt allein leben. Im Jahr 2020, als die Pandemie uns ins Homeschooling zwang, verbrachte er einige Wochen bei seinem Vater und kam zu dem Entschluss, nach dem Ende des Schuljahres nach Hessen zu seinem Vater zu ziehen. Ich konnte nicht dagegen halten und habe ihn gehen lassen.
Mein Sohn war schon immer ein offener und extrem neugieriger Mensch, egal ob es darum geht, ein neues Essen aus zu probieren, oder sich neuen Situationen zu stellen. Er ist flexibel und dem Menschen zugewandt. Er zog zum Vater und musste sich dort erstmal
zurecht finden und im Nachhinein, war das alles insgesamt eine Überforderung für ihn. Er fand falsche Freunde und nach einigen Monaten war er dann durch anhaltenden Mischkonsums völlig abgestürzt und nur noch ein Schatten seiner selbst. Er war abgemagert, hörte Stimmen, fühlte sich verfolgt.
Er wurde Weihnachten 2021, im Alter von 17 Jahren wegen Eigengefährdung gegen seinen Willen in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Er hatte so viel unterschiedliche Drogen im Blut, dass er erst nach drei Wochen entgiftet war. Wir haben dann vieles herausgefunden. Schule lief nicht mehr, Fehlstunden, falscher Umgang, mit 17 Jahren auf dem Weg in die Beschaffungskriminalität und noch einiges mehr.
Der Aufenthalt in der Klink verlief leider erfolglos. Er verweigerte jede Zusammenarbeit, fühlte sich von der Medikation verfolgt. Man
wolle ihn beherrschen und alle seien gegen ihn.
Er probierte verschiedenste Einrichtungen, keine davon sagte ihm zu. Eine Zeit des Stillstands. Er wollte keine Medikation, hörte die Stimmen auf höchstem Niveau und befand sich in keinem guten Zustand.
Sein Bruder hatte einen guten Draht und viel Zeit mit ihm verbracht. In Gesprächen wurde meinem Sohn klar, er wird gebraucht und wir alle wollen nur sein Bestes. Schließlich ließ er sich ambulant behandeln und hat sich seiner Psychose gestellt und der Medikation zugestimmt.
Im Januar 2023 hat er ein FSJ angetreten, um sein Fachabi abzuschließen. Er erhielt während dieser Zeit viel Zustimmung von der Einrichtung. Er fing gut an, er hatte einen Plan, die gesamte Familie hat aufgeatmet und wir wogen uns in Sicherheit.
Im Spätsommer dann der große Wunsch, weg von zu Hause, und endlich in eine WG ziehen. Auch das ließ sich gut an, alles schien so weit zu laufen. Im Herbst des selben Jahres der erneute Einstieg in die Drogen, nachdem er eigenmächtig seine Medikation abgesetzt hatte.
Er dachte, er habe in dem Mitbewohner einen richtigen Freund gefunden, leider hat der das genaue Gegenteil bewirkt. Er brauchte die Anerkennung des Freundes. Mein Sohn stürzte wieder ab, spielte mir vor, es ginge ihm gut. Er konnte so gerade sein FSJ beenden, aufgrund der sich häufenden Fehlzeiten ein Wunder.
Silvester des Jahres erfolgte seine erneute Einweisung, nachdem er sich outete, dass er wieder rückfällig geworden sei und schwer abstürzte. Er wies sich selber ein, mit dem Ziel, es dieses Mal zu schaffen. Sein Plan war Entgiftung und dann Langzeittherapie. Er verweilte 6 Monate in einer Klinik in der Eiffel und arbeitete hart an sich, mit dem Ziel zu studieren. Er fasste schnell Vertrauen in die Einrichtung, zu seiner Psychologin und machte sich auf den Weg in seine Abstinenz. Ich spürte seine Unruhe, sich endlich in der Realität erproben zu wollen. Er hatte großen Respekt vor den Anforderungen seines neuen Lebens. Es folgte noch eine 4 wöchige Adaption.
Im Anschluss organisierte er sich einen Studienplatz für BWL in Rheinland Pfalz und auch das passende WG Zimmer. Er war hochmotiviert, legte einen tollen Start hin und kniete sich ins Lernen, und wir alle waren davon ausgegangen, dass er sich dort einlebte und angekommen war.
Nach ein paar Monaten, war ihm die Stadt zu langweilig. Er sprach von dem „Kaff“ und er würde gern woanders studieren wollen. Es ist ein wiederkehrendes Muster, dass er es nach einer Weile in einem Trott und Alltag eine Unruhe spürt. Er war dort in der Suchtambulanz der dortigen Psychiatrie angebunden und nahm seine Medikamente. Kontakt und Kommunikation waren gut.
Ich spürte, nach einiger Zeit, dass er anhänglich wurde und sein Mitteilungsbedürfnis wuchs. Er lernte ein Mädchen kennen und sein Besuch hier zu Ostern ließ schon vermuten, dass etwas anders wurde. Er war nervös, sein Tremor war wieder da, er wippte ständig mit dem Knie und Gespräche verliefen auch anders als sonst. Ich war immer noch nicht alarmiert, wähnte ihn und uns noch immer in Sicherheit.
Er plante wieder mehr Aktivitäten. Er reiste viel und meinte immer, „Mama, das habe ich mir auch verdient“. Heute weiß ich, dass er so eine innere Unruhe durch Ablenkung kompensierte. Sei es der Drang nach Sport, ständig ins Fitnessstudio zu rennen, dann müssen Klamotten gekauft werden, dann war das WG Zimmer nicht mehr passend und nun wurde eine Reise nach Berlin geplant. Er und seine Freundin und ein anderes Pärchen.
Heute weiß ich, dass er zu dem Zeitpunkt die Medikation wieder eigenmächtig abgesetzt hatte und seine damalige Freundin kiffte und viel anderes konsumierte. Er hatte ganze 16 Monate durchgehalten.
Sein Freund hatte ihn angesprochen und gemeint, das Mädel sei für ihn nicht gut und habe einen schlechten Einfluss auf ihn. Dankbar für den Ratschlag konnte er sich von ihr trennen. Wieder fasste er sich Mut und outete sich als erneut rückfällig und wies sich erneut in
eine Psychiatrie ein und wurde auf einer Station für Psychose aufgenommen. Es war für uns als Familie ein großer Schmerz, ihn so suchterkrankt zu wissen. Wir lieben ihn alle sehr und begleiten ihn und fangen ihn auf, so gut es jeder in der Situation kann. Er bemüht sich und versucht sich immer mit seiner Erkrankung auseinander zu setzten.
Die letzten vier Jahre waren geprägt von Ängsten, Vorwürfen und auch von der Sorge, ob er leben möchte. Wir geben ihm Kraft, bestärken ihn, dass er gut ist, so wie er ist. Natürlich begleitet uns die Sorge, ob er es schafft, konsequent die Abstinenz zu leben und offensiv die Sucht als Teil seiner Existenz zu sehen.
Ich weiß, dass einzig und allein der realistische offene Umgang mit seiner Suchterkrankung uns und mir als Mutter helfen kann. Er macht sich immer wieder auf den Weg und gibt alles und solange das der Fall ist, ist er auf dem richtigen Weg. Sein Weg ist steinig und er wird stolpern, doch solange er aufstehen möchte und nicht auf der Stelle liegen bleibt, haben wir Hoffnung.
Heute ist er achtsam im Umgang mit sich, lebt mit Disziplin ein Leben als Student und ist stärker denn je, und gibt seine Erfahrungen an andere weiter. Sein derzeitiges Lebensmotto „Aufgeben ist keine Option.“
