Menschen mit Abhängigkeitserkrankung sollen künftig 24 statt bisher 10 ambulante Therapiestunden nutzen können – auch ohne Abstinenz. Die Abstinenzpflicht soll erst nach diesen 24 Stunden verpflichtend werden. So hat es der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im August beschlossen. Bevor die Regelung in Kraft tritt, muss sie noch geprüft und veröffentlicht werden.
Bisherige Regelung:
Suchterkrankte dürfen nur dann ambulant-psychotherapeutisch behandelt werden, wenn sie innerhalb von maximal 10 Sitzungen Abstinenz erreichen konnten. Wird diese Bedingung nicht erfüllt, erfolgt ein Abbruch und keine weitere Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung.
Das sagen wir als Eltern:
Die bisherige Regelung hat für viele unserer betroffenen Kinder eine Hilfe auf diesem Wege von vorneherein ausgeschlossen, weil sie innerhalb dieser kurzen Zeitspanne keine Abstinenz erreichen konnten.
Zu wenig Psychotherapieplätze und Wartezeiten von 6 Monaten und länger erschweren die Behandlungsaufnahme zusätzlich.
Die Vergabepraxis ist herausfordernd und erfordert Mut, einen ausgeprägten Willen, Durchhaltevermögen und eine hohe Frustrationstoleranz – Eigenschaften, die in der Therapie bearbeitet werden sollten.
Auch das Angebot von niedergelassenen Therapeuten, Sucht zu behandeln, ist eingeschränkt.
Kurzum: Es ist eine riesige Hürde, die sich vor unseren Kinder auftürmt.
Söhne und Töchter, die eine Therapie unter diesen Umständen beginnen konnten, berichten, dass die Frage der Abstinenz einen so großen Raum eingenommen habe, dass anderen für sie wichtigen Themen viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Aber wie soll eine tragfähige Veränderungsmotivation unter so viel Druck gelingen?
Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass Veränderungen angestoßen wurden. Aber sind diese ausreichend, um wirklich eine Hilfe für unsere Kinder darzustellen?
Die neue Regelung:
Der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA vom 21.08.2025, der die Psychotherapie bei Abhängigkeitserkrankungen neu regeln soll, im Einzelnen:
- 24 Therapiestunden sind auch ohne Abstinenz möglich.
- Ablauf:
- Kurzzeittherapie 1 (12 Stunden): Ziel bleibt Abstinenz.
- Kurzzeittherapie 2 (weitere 12 Stunden): Nur, wenn Abstinenz als realistisches Ziel gilt und vereinbart ist.
- Danach: Therapie ausschließlich bei vollständiger Abstinenz (ärztlich nachweisbar).
- Gilt für fast alle Substanzen (inkl. Cannabis, neue psychoaktive Substanzen, Medikamente etc.).
- Ausgenommen: Tabak/Nikotin, Koffein.
Was sagen die Fachverbände?
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und die deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) kritisieren diese Regelung als zu starr und wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Sie fordern, dass die rigide Abstinenzpflicht abgeschafft wird, da sie den Zugang zu dringend benötigter Hilfe erschwert. Ihre Kritik:
- Zeitfenster bleibt zu knapp.
- Realitätsfern – niemand wird in 24 Stunden abstinent.
- Widerspruch zu Leitlinien, die auch Konsumreduktion und Stabilisierung als Ziele anerkennen.
- Gefahr, dass genau die ausgeschlossen werden, die noch unsicher sind oder ihre Motivation erst entwickeln.
Unser Blick als Eltern darauf
Wir Eltern wünschen uns, dass unsere Kinder Anlaufstellen haben – egal, in welchem Tempo sie bereit sind, Veränderungen anzugehen. Doch oft erleben wir, dass sie an hohen Hürden scheitern und keine Hilfe greift. Dann suchen wir Eltern nach Angeboten, Möglichkeiten und Wegen, telefonieren, organisieren – obwohl wir doch eigentlich loslassen sollten.
Wir sind keine Ärzte und keine Therapeuten. Wir unterstützen unsere Kinder so gut wir können – aber es gibt Grenzen. Loslassen wird erst möglich, wenn wir wissen, dass unsere Kinder wirklich aufgefangen werden.
Was wir genau deshalb brauchen:
- Fachleute und Anlaufstellen, die uns nicht alleine lassen, wenn es schwierig wird und
- Regelungen und Angebote, die echte Chancen möglich machen.