Ich würde gerne öfter Nein sagen!
Das haben alle von uns schon erlebt: Wir werden um etwas gebeten, merken innerlich sofort, dass wir eigentlich Nein sagen möchten – und trotzdem ringen wir mit uns. Häufig treten dann bei uns die unterschiedlichsten Gefühle auf: Angst, Hilflosigkeit, Unsicherheit, mangelnde Orientierung oder einfach nur das Gefühl, endlich nicht mehr bedrängt werden zu wollen.
Gerade in der Beziehung zu unseren suchtkranken Kindern sind Haltung und Verhalten von besonderer Bedeutung. Wir spüren, dass wir Grenzen brauchen, und gleichzeitig fällt es schwer, diese klar zu ziehen.
Ein erster Schritt kann sein, die eigenen Gefühle bewusst wahrzunehmen. Sie sind ein wichtiger Kompass: Was will ich wirklich? Was macht die Situation mit mir? Welches Bedürfnis steckt dahinter? Oft sind wir so sehr im Außen, dass wir dabei vergessen, unsere innere Stimme ernst zu nehmen.
Manchmal reicht es schon, sich einen Moment Bedenkzeit zu nehmen. Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein kurzer Augenblick – und genau darin liegt die Chance, kurz durchzuatmen und innezuhalten. Wer nicht sofort reagiert, sondern bewusst entscheidet, kann Konflikte klarer handhaben und Eskalationen vorbeugen.
Ein Nein muss nicht zerstören. Im Gegenteil: Es kann eine Tür schließen und gleichzeitig eine andere öffnen. Grenzen schaffen Orientierung – für uns selbst und für unser Gegenüber. Eine klare Ansage bedeutet nicht Härte, sondern Haltung. Wichtig ist, zugewandt zu bleiben und die Verantwortung dorthin zurückzugeben, wo sie hingehört.
Versprechen oder Drohungen, die wir nicht einhalten können oder wollen, schwächen unsere Position. Nur das anzukündigen, was wir wirklich durchhalten, schafft Vertrauen und Verlässlichkeit – auch wenn es schmerzlich ist.
Eine klare Haltung zeigt sich auch in unserem Verhalten. Wenn wir Nein sagen, dann am besten eindeutig – und zwar in der Ich-Form:
- keine vagen „Vielleicht“-Antworten,
- keine Du-Botschaften, die Vorwürfe transportieren,
- keine „Aber“-Konstruktionen, die unsere Aussage abschwächen.
Stattdessen: Klarheit mit Begründung. Zum Beispiel: „Ich kann das nicht für dich übernehmen, denn du musst deine eigene Entscheidung treffen.“ Oder: „Ich kann dir kein Geld geben, weil ich deinen Konsum nicht unterstützen möchte. Gleichzeitig helfe ich dir gern, wenn du einen anderen Weg einschlagen willst.“
Manchmal kann es entlastend sein, schwierige Dinge schriftlich zu klären. Eine Nachricht gibt Raum, die eigenen Worte sorgfältig zu wählen – und der anderen Seite Zeit, über die Antwort nachzudenken. Auch trialogische Gespräche in Kliniken – mit Arzt, Patient und Angehörigen – können Klarheit und Entlastung bringen.
Wer sich vertiefend mit diesem Thema beschäftigen möchte, findet hilfreiche Anregungen in Janine Beer-Peers Buch „Aufopfern ist keine Lösung“ oder im Kartenset zur Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg.
Nein sagen ist kein Scheitern. Es ist ein Schritt zu mehr Klarheit, Selbstfürsorge und einer gesünderen Beziehung – zu uns selbst und zu unserem Kind.