Schreiben und das Leben

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Mit hat schreiben schon mein Leben lang das Leben gerettet… als verwirrter Teenager in einer Sucht-Familie, als junge Erwachsene und Mutter, die sich nicht gerne in eine Rolle zwingen ließ und heute als Mutter eines suchtkranken Sohnes.

Das Thema Sucht begleitet mich schon immer – mein Vater war funktionierender Alkoholiker, Richter und hatte zwei Familien parallel; mein Onkel hat seine Familie ruiniert; meine Partner hatten gerne ein Suchtproblem und ich war oft der stabilisierende Part oder auch mal der rebellierende Partner. Alles in allem – ich habe viele Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass Sucht ein System hat und ist  – dass es eine Gebilde ist, in dem alles Echte und Wahre verschwindet. Und es bleibt ein Konstrukt aus Lügen, Selbsttäuschung und Isolation. Denn in einem Suchtsystem spielen alle ihre Rollen. 

Ich habe es geschafft, mich da rauszuarbeiten, mit einigen Therapiesitzungen, viel Arbeit an mir selbst und vielen, vielen vollgeschriebenen Büchern.

Dass ich erst sehr, sehr spät kapiert habe, dass mein Sohn wirklich krank ist, ist fast ein wenig lustig – wenn es nicht so unfassbar traurig wäre.

Bei den ersten Anzeichen, da war er ein Teenager, war ich noch zu verstrickt und Suchtverhalten viel zu normal für mich als dass ich die Tragweite auch nur erahnen konnte. Später dann dachte ich immer, es ist eine Phase.

Er hat gerade eine harte Zeit, es wird sich wieder geben. Er ist gerade unglücklich, wenn nur das oder jenes passiert – dann wird alles wieder gut. Alles Quatsch! Mein Sohn ist krank und bräuchte Hilfe. Er ist so verloren, es bricht mein Herz.

„Du kannst den Teufel aus deinem eigenen Garten vertreiben, im Garten deiner Kinder wird er wieder auferstehen. “ Den Satz habe ich vor vielen Jahren gelesen, heute macht er Sinn. 

In den düsteren Momenten, in denen ich nicht mehr weiter weiß, in denen die Angst nach mir greift, muss ich immer ein Notizbuch bei mir haben. Auch nachts – dann ist es am Schlimmsten. Dann drehen meine GEdanken durch, ich versuche, Lösungen zu finden, rede in Gedanken mit meinem Sohn, versuche, ihn zu überzeugen. Dann muss ich das Aufschreiben. Manchmal kann ich es dann für ein nächstes Gespräch mit ihm nutzen, meistens hilft es mir einfach, dass diese ganzen Gedanken aus meinem Kopf auf das Papier kommen. Die Hand fliegt dann fast – und es kommen neue Idee, neue Muster zum Vorschein, die ohne das Schreiben verborgen bleiben würden. Und dann – irgendwann – nach einigen Seiten, weiß ich wieder, dass es um mich geht. Dass ich ihn nicht ändern kann. Dass es nichts bringt, wenn ich mit hinabsteige in die Hölle. Dass es nicht meine Hölle ist sondern seine.

Auf dem Papier schreie ich den Teufel Sucht auch gerne an. Ich personifiziere ihn, ich schwöre, dass ich ihm nicht nachgebe, was auch immer passiert. Und wenn es zum Schlimmsten kommt. 

Auch mein Leben ist wichtig, nicht nur das meines Sohnes.

Das alles hilft bis zum nächsten Mal, wenn mein Kind, das zwar schon groß aber eben immer noch mein Kind ist, nicht erreichbar ist. Obwohl wir einen Termin haben. Wenn ihn länger niemand gesehen hat. Wenn ich mir nicht sicher sein kann, dass ihm nichts passiert ist. Dann bin ich trotz allen Schwüren in der Hölle. 

Noch habe ich die Hoffnung, dass mir das erspart bleibt. Aber ich kann es nicht wissen. Ich kann mich nur an mein Leben kllammern. Meine Arbeit, den gesunden Teil meiner Familie, an Freunde und das Schöne, dass es trotz Allem gibt.

Das Schreiben hilft, das alles nicht zu vergessen. Und die Hoffnung nicht zu verlieren.

Michaela