Wir sind für immer verbunden

Ich weiß noch als ich es erfuhr! Meine Nachbarin kam und sagte: die Jungs kiffen! Es hat mich wie ein Schlag getroffen. Ich hatte nie etwas mit Drogen zu tun, trank keinen Alkohol und rauchte nicht. Ich war 37 Jahre, mein Sohn 14. Ich habe noch eine jüngere Tochter, bin verheiratet, wir haben beide Arbeit. Wir konnten uns unsere Jobs so einteilen, dass immer einer zu Hause war.

Mein Sohn hatte sich verändert

Einige Zeit vorher war mir schon aufgefallen das sich mein Sohn veränderte. Er wurde schweigsam, wollte nicht mehr in den Arm genommen werden vor seinen Klassenkameraden und er versicherte uns immer wieder, dass er uns liebhat. Ich dachte, das wäre normal,- pubertär!

Als ich es erfuhr, wusste ich irgendwie intuitiv, dass das nicht gut ist. Nicht für Florian. Und es wurde immer schlimmer. Wir haben Gespräche geführt, geschimpft, Verbote ausgesprochen, mit Nachsicht reagiert, die Drogenberatung angesprochen… Er rückte immer mehr von uns weg.

Ich war unwissend und habe immer gehofft, dass alles gut wird

Ich erinnere mich an eine Nacht, – er sollte um 10 Uhr zu Hause sein. Doch er erschien nicht. Es wurde 11 Uhr – 12 Uhr… Irgendwann habe ich, trotz der späten Zeit bei seinem Freund angerufen, mit dem er eigentlich unterwegs war. Er sagte Florian wäre bei einem Freund. Er hätte leider auch keine Telefonnummer. Kurze Zeit später erschien er zu Hause. Angeblich wäre er eingeschlafen.

Ein anderes Mal hatten wir einen Termin beim Zahnarzt. Er erschien wieder auf den letzten Drücker. Aber er war sehr gut gelaunt. Darüber war ich froh, da er in letzter Zeit oft sehr gereizt war. Er hatte knallrote Augen und war äußerst lustig. Ich war verwirrt. Später habe ich erfahren, dass das Symptome sind, die auftreten, wenn man einen „Bong“ raucht.

Ich war so naiv. So unwissend und immer in der Hoffnung das alles gut wird. Ich bin Nächte lang unterwegs gewesen und habe ihn an Stellen gesucht, die ich lieber nie gesehen hätte. Umstände die mir so fremd waren.

Ein kurzer Lichtblick

Einmal hat er eine Therapie angefangen. Er war drei Monate in einer Einrichtung und er schien sich wohl zu fühlen. Nach drei Monaten durften wir ihn das erste Mal besuchen. Er war wirklich gut drauf und alles machte einen guten Eindruck. Wir waren so froh. Mein Mann und meine Mutter waren dabei und wir hatten viel Hoffnung. Vier Wochen später sollte wieder ein Besuch stattfinden. Wir warteten auf eine Info was wir mitbringen sollten und auf den genauen Termin. Es passierte nichts. Als der voraussichtliche Termin näher rückte, habe ich mal angerufen. Die lapidare Antwort des Sozialarbeiters war: der ist nicht mehr da….. Ich habe es meinem Mann gesagt, und wir haben bestimmt eine halbe Stunde draußen gesessen und konnten nichts sagen! Wir waren leer. Alle Hoffnung zerstört.

Die bittere Realität

Als er das Konto meiner Tochter leergeräumt hat und uns beklaute, haben wir ihn rausgeschmissen. Wir mussten auch an unsere Tochter denken. Sie hatte kein sicheres Zuhause mehr. Natürlich hatten wir auch die Hoffnung, dass er dann merkt das er etwas ändern muss. Aber er war schon zu weit im Drogensumpf.

Er wurde mit Bluterbrechen nach dem Konsum von Ecstasy ins Krankenhaus eingewiesen. Er versuchte weitere Entzüge.

Sucht und Psychose

Inzwischen war er schwer psychotisch. Auch das hat gedauert bis wir es verstanden haben….bis wir es wahr haben wollten. Als wir ihn in eine Klinik gebracht haben und seine Wohnung – die wir ihm voller Hoffnung auf Besserung besorgt hatten – leer räumten, haben wir das volle Ausmaß der Erkrankung gesehen. Alle Scheiben von Schränken oder vom Ofen waren zerstört. Löcher in den Wänden, alles verwüstet. In seiner Verzweiflung und der Vermutung das die Stimmen aus der Wand, Schränken usw. kommen, hatte er alles zerschlagen. Die Stimmen sagten ihm, dass wir mit anderen Leuten unter einer Decke stecken und schlecht über ihn reden. Aus diesem Grunde hat er wohl nie mit uns darüber gesprochen. Eine wirklich schwerwiegende Erkrankung.

Hilflos im System

Die Medikation die er dagegen bekam, nahm die Stimmen nie ganz weg. Wenn er Drogen (egal welche,- er war inzwischen politoxikoman) nahm, gingen die Stimmen besser weg. Verschlimmerten letztendlich aber auch die Psychose.

Er wurde per Psych-KG für ein halbes Jahr eingewiesen. Nach ca. 6 Wochen durfte er mit Mitpatienten draußen spazieren gehen. Was macht ein süchtiger?? Natürlich: Alkohol oder Drogen kaufen! Das kam natürlich raus. Anstatt zu sagen: ok- das hat ja nicht geklappt,- dann jetzt erstmal nicht raus und dann nur mit Personal, hatte er zwei Wochen „Stubenarrest“ und konnte dann wieder mit den Mitpatienten raus.

Nach dem dritten Mal hieß es dann: er möchte ja nicht therapiert werden und wurde entlassen! – Trotz Psych-KG für ein halbes Jahr!! Er war psychotisch!! Er erkennt seine Krankheit nicht mehr. Er denkt, wir wollen ihm die Krankheit einreden.

Wir waren machtlos

Leider konnte ich da nie intervenieren, da Florian mir die Berechtigung dazu nie erteilt hat. Wir waren machtlos. Keiner redet mit uns. Wir sahen das Dilemma,- hatten aber keine Handhabe etwas zu unternehmen. Wir waren dazu verdammt bei dem Verlauf des Unheils zuzusehen. Wir waren oft so verzweifelt. Wir konnten unser Kind nicht retten. Der Sozialarbeiter, der ihm auf der Straßen zur Seite gestellt worden war, wurde abgezogen da er ja nicht therapiewillig war. Die rechtlichen Dinge hatten wir an einen Betreuer abgegeben, damit die Zeit, die wir mit ihm hatten, wenigstens so gut es geht unbelastet war. Dafür bin ich sehr dankbar.

Mein Sohn erlebt eine feindliche Welt

Ich habe früher Gewitter geliebt. Heute denke ich: mein Kind liegt da draußen, ungeschützt, wird manchmal zusammen geschlagen, beklaut, beschimpft und gedemütigt., friert und wird nass. Dabei ist er eigentlich ein Schwerkranker der in einer feindlichen Welt lebt. Die Stimmen, die er hört, sind immer negierend. Das heißt, die Stimmen beschimpfen und beleidigen ihn. Natürlich schimpft er dann auch laut und schreit Menschen auch schon mal an. Die Leute verstehen das natürlich nicht und beschimpfen und beleidigen ihn dann. Und so drehen wir uns im Kreis.

Diese Stimmen sagen ihm auch, dass ich ihm übles zufügen will. Er misstraut mir, obwohl ich doch alles versuche, um ihn daraus zu holen. Die Stimmen sind mein Feind!

Wenn Liebe nicht reicht…

Es gibt aber auch Momente wo er mir sagt: Mama – ich hab’ dich lieb. Oder als ich einmal anfing zu weinen als er mir sagte, dass er denkt ich will ihm Böses, er voller Mitgefühl sagte: Nicht weinen Mama.

Drogenabhängige und psychisch kranke Menschen sind oft sehr sensibel. Sie halten die Härte des Lebens nicht aus.

Leider gibt es auch keine Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen mit Doppeldiagnose, die noch konsumieren. Unsere Bemühungen laufen immer ins Leere. Entweder von Florian aus, oder weil das System keine Lösung bietet. Diese Menschen fallen durchs Netz.

Die Krankheit erlaubt kein ganz normales Leben

Florian wünscht sich eine Wohnung und Arbeit. Eigentlich ein geregeltes, normales Leben. Seine Erkrankung, die er nicht erkennt, lässt dies nicht zu. Er denkt aber immer wir lassen es nicht zu. Wir helfen ihm nicht. Ich rede ihm oft zu, dass er eine Therapie machen soll. Da er sich aber nicht als krank sieht, sondern wir ihm das einreden wollen, macht er keine Therapie mehr. Aus diesem Grund geht er auch nicht mehr zum Arzt. Seine Schwerbehinderung ist ausgelaufen und er müsste zum Arzt, um sie zu verlängern. Aber – wir drehen uns im Kreis – er meint ja er ist nicht krank. Das Versorgungsamt meint nun, ihm ginge es ja besser und verlängert die Schwerbehinderung nicht. Woher nehmen die das Wissen??

Die haben nie mit ihm gesprochen. Er war zwischenzeitlich in der Psychiatrie. Er lebt auf der Straße und ist stadtbekannt wegen seiner Psychose! Wie kommen die darauf???

Es bricht mir das Herz

Das mitzuerleben, dass Menschen ihn beschimpfen und schlecht behandeln, bricht mir das Herz. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe inzwischen einen Schlaganfall gehabt, habe Bluthochdruck, Depressionen und habe schwere Konzentrationsschwierigkeiten, die mir kaum noch erlauben meine Arbeit korrekt auszuführen. Innerlich weine ich oft. Alles schreit! Ich halte den Schmerz manchmal nicht mehr aus. Der Schmerz ist so scharf und verletzend.

Wir sind verbunden – und doch muss ich Dinge für mich tun – so gut es geht

Momentan schaffe ich es nicht mehr ihn auf der Straße zu suchen. Ich gehe kaputt daran und kann nichts tun. Von einem Mann kann man sich scheiden lassen, von Freunden kann man sich trennen, aber ein Kind lässt man nie los. Ich werde mich immer zuständig fühlen. Ich werde immer auch den kleinen Wurm auf wackligen Füssen sehen. Wir sind für immer verbunden. Mir bleibt nur, Dinge für mich zu tun – so gut es geht.

Mein Learning

Aber Florian hat mich auch was gelehrt: nicht vorschnell zu urteilen. Wenn Menschen nicht „normal“ reagieren,- gibt es vielleicht einen Grund. Ich kann nicht über Menschen richten, deren Geschichte ich nicht kenne,- von denen ich nichts weiß. Vielleicht haben sie schlimmes durchgemacht, sind missbraucht, gedemütigt, geschlagen, gebrochen worden! Oder eben krank – so wie mein Kind. Ich muss jedem mit Respekt begegnen. Immer!!

Mit dem Schmerz, meinem Kind nicht helfen zu können, werde ich ins Grab steigen.
Aber auch die Liebe! Die Liebe zu meinen beiden Kindern!

Regina