Es gibt immer einen Weg

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Es ist Advent, die Zeit zum In-Sich-gehen. Mein Mann und ich genießen diese Zeit. Wir sind dankbar, denn ziemlich genau vor einem Jahr hatten wir uns vor lauter Sorgen um unseren Sohn fast selbst verloren.

Wir fühlten uns hilflos. Unsere Gedanken kreisten nur um ihn. Hinter uns lagen Monate, in denen er psychotisch und obdachlos umhergeirrt war und von niemanden Hilfe annehmen wollte.

Irgendwann im November habe ich mich – nervlich völlig am Ende – in eine Klinik einweisen lassen. Anfangs war es für mich schwer, loszulassen und mich umsorgen zu lassen – ich zu sein, mich nur um mich kümmern zu dürfen und mich mit meiner Angst auseinanderzusetzen.

Etwa zur gleichen Zeit war auch unser Sohn freiwillig in eine Klinik gegangen und nicht wieder von dort weggelaufen. In dieser Zeit hat er auch wieder den Kontakt zu uns gesucht. Seitdem hat sich vieles in eine positive Richtung entwickelt, heraus aus der Sackgasse.

Wir sind dankbar, dass wir nach Jahren des Auseinanderdriftens wieder eine vertrauensvolle und offene Beziehung zueinander aufbauen. Wir reden über unsere Gefühle, zeigen Ängste und sprechen über unsere Grenzen.

Die Annäherung geschah behutsam in kleinen Schritten. Irgendwann hat sich unser Sohn entschieden, die Großstadt zu verlassen, um Ruhe und einen gewissen Schutz und Abstand zu haben.

Zurzeit lebt er bei uns. Es brauchte Zeit, bis wir uns zu dieser Wohngemeinschaft entschieden haben. Sowohl für einen erwachsenen Mann ist es komisch, wieder in das Elternhaus zu ziehen, als auch für uns, denn unsere Söhne lebten beide schon lange in ihren eigenen Wohnungen.

Rückblickend kann ich sagen, dass Aktionismus und schnelle Entscheidungen, die Situation an keiner Stelle verändert haben. Alles hat Zeit gebraucht. Im Grunde hatten wir keinen oder nur einen unwesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Dinge. Wir waren aber da, als unser Sohn Hilfe annehmen wollte.

Es war wichtig, dass mein Mann und ich aufeinander geachtet haben. Für ihn war es beispielsweise eine Erleichterung, dass ich für mich die Entscheidung getroffen hatte, in eine Klinik zu gehen.

Seit wir von der Sucht unseres Sohnes wussten, haben wir uns guten Freunden geöffnet und von ihnen Verständnis und Unterstützung erfahren. Das Gleiche trifft auch für unseren größeren Familienkreis zu. Wir sind von Anfang an mit unserer Situation offen umgegangen. Ich habe mich auch in meinem Lehrer-Kollegium geöffnet.

Nach der längeren Auszeit habe ich auch meinen Schülerinnen und Schülern erzählt, was mir passiert war. Für mich war es sehr bewegend, wie verständnisvoll und interessiert sie reagiert haben. Ich hatte ihnen geschildert, in welche schwierige Situation ich als Mutter mit meinen Ängsten durch die Sucht unseres Sohnes gekommen war.

In diesem Jahr gab es viele schöne Momente. Wir haben mit unserem Sohn einen Roadtrip nach Spanien gemacht. Wir waren viel zusammen spazieren. Und jetzt freuen wir uns, dass unser Sohn eine ambulante Sucht-Therapie begonnen hat. Ich bin auch froh darüber, dass wir lernen, offen zu sagen, wenn uns etwas zu viel ist und wir Ruhe brauchen.

Wir sind in der dunklen Zeit stellenweise an unsere Grenzen gekommen. Es gab schwierige und verzweifelte Situationen. Doch wir haben immer einen Weg gefunden und das macht uns zuversichtlich, auch kommende Herausforderungen zu bewältigen.
Aber jetzt genießen wir die Weihnachtszeit…

Christina