Dieses Bild ist in meiner psychosomatischen Reha entstanden und zeigt meine Familie, so wie ich sie zum für mich schlimmsten Zeitpunkt der Suchterkrankung meines Sohnes gesehen habe. Zu dem Zeitpunkt war ich selbst tatsächlich sehr stark gefährdet, in vielerlei Hinsicht. Das Bild zeigt die Sucht, wie sie meinen Sohn zu verschlingen scheint und er dies scheinbar einfach mit sich geschehen lässt. Er scheint nicht zu sehen, was passiert, und die Depression macht ihn auch emotional reglos. Für uns scheint er unerreichbar.
Wir Eltern können nur noch zuschauen und dringen nicht mehr zu ihm durch. Das Suchtverhalten und die damit verbundene Hilflosigkeit scheinen uns das Herz aus dem Körper zu reißen. Wir hatten so große Angst ihn zu verlieren, dass wir beide körperliche Schmerzen dabei spürten, das können andere Eltern in einer solchen Situation vermutlich ähnlich berichten. Die Verbindung unter uns als Paar war auf eine harte Probe gestellt, was auch mit dem unterschiedlichen Umgang mit der Erkrankung unseres Kindes zu tun hatte. Ich konnte gar keine Nähe mehr zulassen, weil es körperlich so sehr schmerzte. Vor lauter Hilflosigkeit fing mein Mann an zu klammern, da fühlte ich mich noch mehr in die Enge getrieben. Unsere Tochter litt ebenso. Sie sah ihren Bruder, wie er mit großer Geschwindigkeit auf einen Abgrund zulief und auch sie drang nicht mehr zu ihm durch. Dazu waren wir Eltern kaum noch in der Lage sie aufzufangen. Ein echtes, obwohl gerade erwachsenes, Schattenkind. Das hat sie nachhaltig verletzt.
Auch die Oma war völlig erstarrt. Zunächst haben wir die Wahrheit nur Stückchenweise an sie herangetragen, wir wollten sie schonen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass sie es bereits lange ahnte. Sie selbst war als Ehefrau betroffen und lebte all die Jahre mit dem Geheimnis um die Sucht ihres Mannes, über seinen Tod hinaus. Mein Mann hat seine Kindheitserlebnisse ziemlich gut verdrängt. Es handelte sich um eine andere Substanz und gleichzeitig zeigte sein Vater ein ähnliches Verhalten und starb tatsächlich an seinem langjährigen Konsum. Einerseits hat mich ihre Geschichte tief berührt, andererseits war mir klar „ich werde es nicht zum Geheimnis machen“.
Im Elternkreis fand ich offene Ohren. Menschen die meine Sorgen, Nöte und auch Wut kannten, verstanden und auch aushielten. Im Elternkreis kann es ausgesprochen werden. Das Aussprechen hilft zu reflektieren, wenngleich das Zuhören auch manchmal heftig sein kann. Wir stützen uns gegenseitig in unseren Krisen und bestärken uns in Beziehung zu bleiben. Besonders in Beziehung zu uns selbst, in Beziehung zu unseren PartnerInnen, in Beziehung zu unseren weiteren Kindern und eben gerade auch in Beziehung zu unserem kranken Kind.
Unser Sohn hat einen Weg gefunden mit der Erkrankung umzugehen.
Nach dem x-ten Entzug ging er tatsächlich in eine Langzeittherapie und schließlich in eine Therapeutische Wohngruppe. Dort wird er in ein selbstständiges Leben begleitet. Nach verschiedenen Praktika, hat er nun eine Ausbildung begonnen.
Die Betreuer der Einrichtung der Malteser erleben wir als zugewandt und hilfreich, auch uns Eltern gegenüber. Das ist nicht selbstverständlich und deshalb schätzen wir es besonders. Nach einem heftigen Rückfall im vorherigen Jahr, indem uns die Mitarbeiter der Wohngruppe zur Seite standen und unseren Sohn wieder aufgenommen haben, sehen wir nun wieder viel Licht. Die ganze Familie heilt gerade.
Wenn ich an die Zeit zurückdenke, erinnere ich auch sofort wieder diesen Schmerz. Das wird wohl bleiben. Ebenso wie die Angst, das es sich wiederholt. Gleichzeitig haben sich meine Erwartungen und Werte sehr verändert. Begegnung ist für mich nun das Bedeutsamste. Einander zu sehen, sich zuzuhören und auch die eigenen Grenzen zu setzen.
Ich bin dankbar dafür, dass mein Sohn lebt. Alles andere ist nun ein wunderbares Geschenk.
Claudia