Mit diesen Gedanken versuche ich, als Mutter eines suchtkranken Sohnes einen gesunden Umgang mit seiner Sucht zu finden.
Sucht betrifft das ganze System
Ich weiß heute, dass eine Sucht, dabei spielt es keine wichtige Rolle, ob es sich dabei um eine stoffgebundene oder nicht stoffgebundene Sucht handelt, sowohl eine individuelle Erkrankung des Gehirns ist, als auch eine systemische Störung, die massive Auswirkungen auf das soziale Umfeld hat. Dazu gehören für mich die gesamte Familie, der Freundeskreis sowie andere soziale Kontakte.
Mutterrolle trotz erwachsenem Kind
Die Tatsache, dass mein Sohn heute fast erwachsen ist, ändert nichts daran, dass ich als Mutter eine sehr bedeutende Rolle für ihn einnehme. Kinder möchten von jeher ihren Eltern keine Sorgen machen, möchten sich in die Unabhängigkeit entwickeln und beweisen, dass sie auf eigenen Füßen stehen können und Eltern stolz machen. Kinder brauchen Anerkennung, um zu wachsen.
Leben zwischen Hoffnung und Rückschlägen
Heute stehen wir als Familie vor einer anderen Herausforderung und jedes Familienmitglied geht anders mit der Tatsache um, dass unser geliebtes Familienmitglied schwer erkrankt ist. Eine Erkrankung, die wenig greifbar ist und doch so lebensgefährlich. Wir leben zwischen Hoffen und Bangen und wissen, dass auch wenn es temporär zum Stillstand der Erkrankung kommt, sie jederzeit und ohne Ankündigung wieder ausbrechen kann. Genau an dem Punkt sind wir aktuell. Die Krankheit war wieder ausgebrochen, der Verlauf heftig.
Fragen an mich selbst
Die Herausforderung, mit der ich mich jüngst konfrontiert sehe: Wie kann ich unterstützen, soll ich unterstützen und was macht Sinn in dieser neuen Situation?
Der Moment der Klarheit
Als meine Tränen getrocknet waren und ich den Schock seines erneuten Rückfalls überwunden habe, gab es den Moment, dass ich in einem lichten Moment gefühlt habe, es braucht jetzt etwas anderes als zu leiden, zu weinen und irgendwie es mit auszuhalten. Ich bin für mich zu der Erkenntnis gekommen, dass ich in so einem emotionalen Ausnahmezustand niemandem helfen kann. Weder meinem Sohn, noch mir.
Die innere Not meines Sohnes
Mein Sohn schämt sich für seine Erkrankung. Das und auch die Tatsache, dass seine Erkrankung eine große Belastung für uns als Familie ist, bereitet ihm zusätzlichen Kummer. Das bedeutet, mein suchterkrankter Junge lebt seit Jahren in einem Kampf. Er ist süchtig, möchte da in Phasen der Abstinenz nicht hingucken, denn das erinnert ihn an seine Gänge durch die Hölle, und auf der anderen Seite guckt er in traurige, verzweifelte Gesichter, die leiden und auch durch die Hölle gehen – seinetwegen.
Der Umgang mit Schmerz und Trauer
Das alles ist auf keinen Fall gesund und hilft meinem Sohn nicht, sich in einem neuen Alltag ohne Konsum zu orientieren. Ich möchte hier deutlich hinzufügen, dass es absolut in Ordnung ist, traurig und verzweifelt zu sein. Es ist dramatisch, sein Kind in einer Sucht zu wissen, und wir als Angehörige müssen diese Gefühle auch zulassen. Wir können einen anderen Weg finden, diese Gefühlszustände zu bearbeiten. Wir können Trauer niederschreiben, Tagebuch führen, uns einen Weg suchen, das zu kanalisieren.
Unsere Rolle als Familie
Wir als Familie sind seine Leitplanke, seine Basis, sein Sicherheitsnetz. Wenn ich also möchte, dass er auf den Weg der Abstinenz kommt, kann ich ihm nur durch Zuversicht, Normalität und ein nicht andauerndes Gedankenkarussell, „Was ist wenn?“, dem Wissen, dass es sich um eine Erkrankung handelt, eine echte Hilfe sein.
Raus aus dem Teufelskreis
Ich betrachte es als meine Pflicht, diesen Kreislauf von negativen Gefühlen, Leiden zu durchbrechen, damit er überhaupt eine Chance hat zu genesen. Begebe ich mich auf seine Ebene und verharre in der Traurigkeit, in dieser ausweglosen Situation, wächst die Suchterkrankung zu einem weiteren Familienmitglied und das Gegenteil von Heilung tritt ein. Es besteht die Gefahr, dass mein Junge immer tiefer darin versinkt und wir als Familie daran zerbrechen. So bleibt das System krank.
Stärke bedeutet nicht Verdrängung
Wie bekomme ich das hin, als Mutter Stärke zu zeigen und mich nicht weiter auf diesen angstbesetzten Weg zu begeben und mich nicht der Tatsache, dass mein Junge lebenslang erkrankt ist, zu unterwerfen und mein Leben danach auszurichten?
Ein neuer Umgang mit der Realität
Ich nehme die Situation als Tatsache an. Ja, mein Sohn ist schwer krank, und ich bin nicht schuld daran, dass er sich auf den Weg begeben hat. Ich übe mich darin, meine Energie auf den bestmöglichen Verlauf der Erkrankung zu legen. Das bedeutet, ich lebe aktiv damit. Ich versuche, mich nicht mehr gedanklich dagegen zu stellen und somit meine Energie immer auf den negativen Aspekt zu lenken.
Begegnung auf Augenhöhe
Indem ich das verinnerliche und mich auf den Weg begebe, nimmt mein Sohn mich auf Augenhöhe wahr. Ich bewege mich aus dem Teufelskreis raus, wir haben plötzlich auch andere Themen, und ich spüre, er kann wachsen und sich positiv ausrichten. So vermittle ich ihm Hoffnung und bin für ihn das Licht am Ende seines Tunnels.
Ein Wunsch zum Schluss
Ich hoffe, ich kann mit meinen Zeilen eine Anregung zum Nachdenken sein.