Mit Selbstfürsorge zum Neuanfang

Start » Mutmachgeschichten » Mit Selbstfürsorge zum Neuanfang

Es gab für mich keine erkennbaren Warnsignale. Es gab zumindest keine Signale, die in mein Bewusstsein vor gedrungen wären. Ich habe funktioniert, so wie ich es all die Jahre immer getan habe. Ich habe nach meinen, wie ich heute weiß, tief in mir anerzogenen Glaubenssätzen gehandelt. Und die ließen auf keinen Fall zu, irgendeine Schwäche zu zeigen.

Frei nach dem Motto: Was uns nicht tötet macht uns nur härter und es gibt immer eine Lösung, wenn man sich nur genug anstrengt.

Irgendwann habe ich dann mit meinem Sohn bei seinem Arzt gesessen und wollte mal wieder etwas für ihn regeln. Diesem Arzt ist dann aufgefallen, dass ich wohl komplett emotionslos, apathisch und mechanisch mein Anliegen vorgebracht habe. Er hat sich dann ab diesem Augenblick nur mit mir befasst, obwohl ich nicht Patient bei ihm war.

Heute sage ich wie gut, wenn einer richtig hinschaut. Egal ob Freunde, Ärzte Angehörige.

Es folgte eine dringende Empfehlung für mich in eine Klinik zu gehen und meine eigene Gesundheit in den Fokus zu legen. Mein Verstand hat das alles verstanden, meine Emotionen waren weg und ich wollte auch nicht. Aber ehrlich gesagt habe ich ab diesem Moment die Kontrolle vollständig aufgegeben und mich nur noch auf den Arzt verlassen und meine Freunde, die mir dann geholfen haben, einen Antrag für einen Klinikaufenthalt zu stellen. Irgendwie war es erleichternd eine ärztliche Absolution für „mein Versagen, nicht mehr können“ zu haben.

Mir war alles egal. Mein Verstand hat gesagt mach weiter, aber ich konnte nicht mehr.

8 Wochen später durfte ich in Prien am Chiemsee mein Zimmer in der Schönklinik beziehen. Die ersten drei Wochen habe ich dann gedacht was soll ich hier eigentlich. Mein Kind ist alleine zu Hause und keiner kümmert sich.

Dank der Therapeuten und der guten Gespräche und der sehr hilfreichen Einzelgespräche mit einer Psychologin, der gesamten Atmosphäre in der Klinik und der Umgebung habe ich aber dann Schritt für Schritt gespürt, dass sich etwas in mir veränderte. Ich bekam meinen Selbstwert zurück.

Der Kontakt nach Haus war eigentlich in dieser Zeit nicht erwünscht, ich habe aber trotzdem mit meinem Sohn telefoniert. Ich konnte mich dank der Therapie aber klarer abgrenzen und wieder erkennen, wofür ich verantwortlich war und wofür nicht.

Ich habe gelernt, dass ich nicht schuld an dem Konsum meines Sohnes bin und er diese Entscheidung ganz alleine für sich gefällt hat. Ich habe ihm die Drogen nicht eingeflößt und ihn auch nicht dazu gezwungen diesen Weg einzuschlagen.

Ich habe gelernt mein Verhalten zu überdenken und mich selbst zu erkennen und zu finden.

Ich habe gelernt, dass ich nur für mich alleine verantwortlich bin und nicht die Projektionsfläche für die Gefühle anderer.

Ich habe gelernt nicht das Leben anderer leben zu können. Das müssen sie alleine schaffen.

Und ich habe gelernt, dass Menschen oft die Dinge, die sie in sich selbst nicht ertragen in anderen bekämpfen und andere niedermachen, um selbst ein Stück größer zu werden.

Ich habe erkannt, dass vieles was mein Sohn herausgebrüllt hat gar nichts mit mir zu tun hatte, sondern mit ihm.

Das war ein sehr emotional aufwühlender und harter Prozess. Aber nach 9 Wochen in der Klinik ging es mir wieder viel besser. Ich habe wieder Emotionen gespürt.

Auch das habe ich gelernt. Was ist Wut, Trauer, Freude, Angst, Einsamkeit…………? Und vor allem, wie spüre ich diese Emotionen wieder. Und auch dass ich sie zeigen darf und muss.

Und das Wichtigste war immer die Frage, auch im Umgang mit anderen Menschen und deren Aussagen. „Was hat das mit mir zu tun bzw. hat es überhaupt etwas mit mir zu tun?“

Ich habe schon in der Zeit in der Klinik nach einer Therapeutin zu Hause geschaut und mich um eine Anschluss Therapie gekümmert. Das war sehr, sehr wichtig, denn man verfällt, ohne es zu merken und zu wollen wieder schnell in alte Verhaltensmuster. Zu Hause hat sich ja nichts verändert und die Zeit in der geschützten Klinikatmosphäre ist ähnlich einem Kokon. Man hat die Zeit und Muße sich wirklich nur mit sich selbst zu beschäftigen.

Ich kann es jedem nur dringend empfehlen sich einen solchen Anschlusstermin zu holen. Der Werkzeugkoffer zum Thema Selbsterkenntnis und Verhaltensänderung, den man aus der Klinik mitnimmt reicht allein noch nicht aus.

Das Gelernte muss erst tief gefestigt und verankert werden und das schafft man nicht alleine.

Zu Hause war die Situation in der Zeit meiner Abwesenheit auch nicht besser geworden und nach einer gewissen Zeit hatte ich dann die Kraft meinem Sohn nahe zu legen er möge doch ausziehen. Dies tat er Hals über Kopf und ich habe ihm dabei geholfen, obwohl es mich fast innerlich zerrissen hätte. Mehr als einmal war ich kurz davor wieder alte Muster zu nutzen und der Kümmerer zu werden.

Es folgen noch drei Jahre schlimmer Situationen, die ich aber dank meines Klinikaufenthaltes und der Therapie, in der ich steckte, gut wegstecken konnte. In dieser Zeit habe ich mich auch an den Elternkreis Köln gewandt und gemerkt, wie wichtig der Austausch mit anderen Betroffenen ist. Auch hier bekommt man immer wieder die Möglichkeit durch gute Gespräche seine Perspektiven zu wechseln und ganz wichtig wirklich zuzuhören.

In dieser Zeit habe ich auch gelernt, meinem Sohn richtig zuzuhören. Ich habe ihn dann auch nach seinem Klinikaufenthalt wieder bei mir ins Haus zurück einziehen lassen. Auch hier habe ich mich nicht auf die Ratschläge anderer verlassen, sondern nur auf mein Gefühl gehört.

Ich habe meinem Sohn sehr klar gesagt, dass ich alles unterstütze, was ihn gesund macht und sobald er wieder konsumiert bei mir keinen Platz mehr hat. Ich habe ihm ehrlich gesagt, dass auch ich Emotionen habe, die ich nicht mehr ertragen will. Wir haben ein sehr offenes und gleichberechtigtes Gespräch geführt und unsere Regeln festgelegt.

Wichtig hierbei war für mich und auch für ihn, wie ich heute weiß, dass wir beide das Verhalten und die Art des anderen nicht gewertet haben und bereit waren die Argumente und Einstellungen des jeweils anderen zu respektieren. Kurz: Wir waren uns einig, dass wir uns nicht immer einig sein müssen.

Mein Sohn ist nun seit drei Jahren clean und auf dem Weg wieder ganz gesund zu werden. Eine Psychose braucht halt lange, um wieder zu heilen. Er macht aber super Fortschritte und ich bin im Nachhinein sehr froh und dankbar über den Weg, den ich gegangen bin.

Ich bin ihn alleine gegangen und das war ganz maßgeblich möglich, weil ich in der Klinik viel gelernt habe und mich dem auch gestellt habe.

Ich kann jedem empfehlen diesen Weg zu gehen und sich Hilfe zu holen. Auch wenn jeder ein eigenes Individuum ist und jeder andere Weg braucht, ein Versuch ist es wert.

Anke