Tobias, warum?

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Es war ein wunderschöner Sommertag im September 2016, als es ein Ereignis gab, von dem niemand gedacht hätte, dass es jemals stattfinden würde: der Hochzeitstag meines Sohnes Tobias!

Schon als kleines Kind war Tobi sehr neugierig und probierte gerne alles Mögliche aus. So war es später mit jeder Art von Drogen, obwohl er über die Folgen schon früh aufgeklärt wurde.

Künstlerisch war Tobi sehr talentiert. Er konnte gut malen und zeichnen, tolle Modelle aus Holz und Speckstein anfertigen.

Sein Ziel war es, Grafik und Design zu studieren. Deshalb wechselte er auf die Kunstschule nach Köln. Leider kam dort seine Drogenkarriere so richtig in Fahrt, vom Studium war nachher keine Rede mehr.

„Eine Malerlehre ist doch auch was… und darauf kann ich aufbauen“, tröstete Tobi uns, als er von der Schule ging. Die Lehre schaffte er wirklich und wurde sogar übernommen. Aber dann verlor er sehr schnell seinen Job, weil er oft unpünktlich und unzuverlässig war – wegen Alkohol und Drogen dann auch seinen Führerschein.

Wenn er nur nicht mit Heroin anfängt, war meine größte Sorge. Allerdings gab es dafür keinen Zweifel mehr, als Tobias schwankend von zwei Freunden nach Hause gebracht wurde.

Drei Tage lang kotzte er sich die Seele aus dem Leib. Es war schrecklich. Als ich ihn darauf ansprach, meinte Tobias tatsächlich:

„Der Kick war es das wert.“

Ich war fix und fertig. Irgendwie mussten wir Tobi doch zu fassen kriegen und ihm helfen können. Ich erinnerte mich an einen Flyer des Elternkreises Oberberg, der auf meinem Schreibtisch lag. Hier lernte ich auch andere Eltern kennen und musste lernen, dass wir unseren Kindern nur helfen können, wenn sie dazu bereit sind.

 Trotzdem machte ich mich immer wieder auf die Suche nach meinem Sohn, hauptsächlich in Köln, wusste ich doch, dass er hier oft als Pflastermaler am Dom saß und seine Comics ausmalte. Auch kannte ich die Plätze, an denen er sonst noch schnorrte und versuchte dort mein Glück.

So schlimm es war, Tobi in diesem Zustand zu sehen, so froh war ich, ihn überhaupt zu sehen. Wusste ich nun sicher, dass er lebte, dass es ihm einigermaßen gut ging. Aber oft war meine Suche auch erfolglos und wir hörten monatelang nichts von Tobias.

Ich war eine der wenigen im Elternkreis, die sich immer wieder auf die Suche gemacht haben.

Natürlich war die Enttäuschung auch immer groß, wenn es wieder nicht geklappt hatte.

Aber Tobi hat mir sehr oft schon bestätigt, dass es ihm letztendlich geholfen hat, dass ich ihn immer da raus geholt habe, dass wir ihm Mut gemacht und Hilfestellungen gegeben haben, wenn er dazu bereit war.

Einmal kam ein Hilferuf aus Berlin.

Es dauerte allerdings drei Tage bis wir Tobi am Bahnhof in Kirchbach abholen konnten und dann im Krankenhaus eine schwere Hepatitis festgestellt wurde.

Immer wieder Entgiftungen. So wichtig wäre eine Langzeit-Therapie, aber dazu war Tobi damals nicht bereit. „Ich schaffe das auch so.“ Aber sobald es ihm etwas besser ging, war er wieder aus der Klinik verschwunden.

Mein Handy klingelte: „Mama, ich kann nicht mehr – mir geht’s total schlecht. Kannst du mich bitte holen und nach Fleckenbühl bringen?“ Der Suchthilfehof Fleckenbühl war bei uns im Elternkreis immer ein Thema: Jederzeit können wir unsere Kinder dort hin bringen, ohne Wartezeit.

Allerdings muss man sich dort an die Bedingungen „Keine Drogen – kein Tabak – keine Gewalt“ halten. Und den kalten Entzug halten viele nicht aus.

Wir waren überglücklich, dass Tobi sich darauf eingelassen hatte. Fred rief alle paar Tage auf dem Suchthilfehof an – ich war dazu nicht in der Lage, vor lauter Angst, dass er wieder weg sein könnte. Und genau das passierte. Ich war untröstlich. „Das kann nicht sein – er war am Ende, er wollte doch clean werden.“

Sofort machte ich mich wieder auf die Suche und trat tatsächlich am Hauptbahnhof Frankfurt einen jungen Mann, der Tobi kannte. Er gab mir den Tipp, es nach 17 Uhr im Druckraum in der Moselstraße zu versuchen. Um kurz nach 17 Uhr war ich in dem beschriebenen Raum der Drogeneinrichtung.

Ich öffnete die Tür und sah ihn sofort. Mein Sohn erschrak zuerst, als ich ihn ansprach, aber dann nahm er mich in den Arm. „Ich komme mit Dir, Mama. Ich muss endlich eine Lösung finden. Ich will raus aus diesem Kreislauf.“

Aber auch das klappte nicht beim ersten Anlauf. Gefängnis-Aufenthalte, viele Entgiftungen, Therapien, Neuanfänge in verschiedenen Städten. Tobias bekam immer wieder Hilfs-Angebote nach Abbrüchen, nach Enttäuschungen.

Und eines Tages – nach der fünften Langzeit-Therapie klappte es. Während der Therapie lernte Tobi im Internet seine jetzige Frau kennen und lieben. Sie hatte eine kleine Tochter und er hatte nun eine eigene Familie, für die es sich lohnte zu kämpfen und ein Leben ohne Drogen zu führen.

Ende.