Erfahrungsexpertin: Sara

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Interview mit Sara

Was war dein Grund, weshalb der Konsum begonnen hat & wann haben deine Eltern mitbekommen, dass etwas nicht stimmt?
Mein erster Konsum fing tatsächlich klassisch mit einer gewissen „Gruppendynamik“ an. Ich war 14. Der Joint ging dreimal an mir vorbei, bis ich beim 4.ten Mal dann doch ziehen wollte. Daraus entwickelte sich regelmäßiger Konsum. Bis ich eines Tages los ging, um mir selbst Grass zu kaufen. Da es an diesem Tag keines gab, wurde mir die Frage nach Ecstasy gestellt.

In meinem Jugendlichen und naiven Leichtsinn, erzählte ich einfach, ich hätte das bereits mit 12 schon ausprobiert, könne mich aber nicht mehr daran erinnern. Mir wurde offensichtlich geglaubt & so holten wir uns 4 „Teile“.

Als ich mir davon eins einwarf & es irgendwann zu wirken begann, war das ein so krasses Gefühl. Mein erster Gedanke war:“DAS! DAS isses! DAS ist das Gefühl, nach dem ich unbewusst immer gesucht habe, was mir immer gefehlt hat.“ Es war einfach ein rundum wohlfühlen, Geborgenheit & alles war einfach toll. Ich liebte alles & alles liebte mich. Für einen kurzen Moment gab es keine Sorgen, keine Einsamkeit, kein Misstrauen. Ich denke damit wurde dann der Grundstein für alles gelegt.

Ich denke meine Mutter, hat direkt am nächsten Tag schon gecheckt, dass etwas nicht stimmte. Wann sie aber vollends begriff, dass ich abrutschen & was ich da eigentlich genau mache, kann ich nicht beantworten.

Glaubst du man hätte diese Entwicklung irgendwann stoppen können?
Ja. Aber schon lange bevor es überhaupt zum ersten Konsum kam. Wäre meine Kindheit anders verlaufen, vielleicht mit beiden Elternteilen, mehr Sicherheit und Liebe und vor allem konsequentem Erziehungsziel, hätte das vielleicht vermieden werden können.

Vielleicht auch noch in der Anfangszeit. Allerdings war ich zu dem Zeitpunkt bereits so abgespalten davon, vertrauen zu Erwachsenen, vor allem meiner Mutter etc zu haben, das es wirklich schwierig gewesen wäre, mit den richtigen Worten und Taten an mich heran zu treten. Vielleicht wäre es möglich gewesen. Meine Mutter hat da aber leider nicht den richtigen Weg gefunden.

Wie wichtig war dir die Beziehung zu deiner Mutter zu dem Zeitpunkt?
Tatsächlich eher nicht so wichtig. Also klar, sie ist meine Mutter und ich habe sie ja auch damals schon/noch geliebt.. aber irgendwie war alles soviel, da gab es einfach keine normale Beziehung zwischen uns, kein normales Verhalten. An manches Tagen haben wir uns nur angebrüllt. Vermutlich weil wir beide einfach so voller Hoffnungslosigkeit & Verzweiflung waren und uns so hilflos & unverstanden gefühlt haben. Ich denke, ich hätte sie aber sehr wohl gebraucht. An meiner Seite.

Hast du die Intervention deiner Mutter als hilfreich empfunden? Was war gut – und was war eher weniger gut? Was hättest du dir in dieser Zeit von deiner Mutter gewünscht?
Was ich mit damals gewünscht habe, weiß ich nicht mehr. Ganz offensichtlich wollte ich aber gesehen und gehört werden, vor allem Ernst genommen und geliebt werden. Ihre Reaktionen auf mein Verhalten, fand ich eher kontraproduktiv. 

Gab es Gespräche über Drogen mit deiner Mutter oder in der Schule oder mit anderen ? Wenn ja, wie war das für dich?
Ich erinnere mich an eine Präventionsstunde in der 8. Klasse auf der Hauptschule. Ein Polizist saß dort, mit erhobenem Zeigefinger ala „Drogen sind Scheisse mmmmhkaaaay“ Und das wars auch eigentlich schon wieder. Große Aufklärung gab’s da bei mir damals nicht.

Ich war tatsächlich auch so naiv und unaufgeklärt, dass ich z.B. dachte, Ecstasy sei so etwas wie Cannabis. Ich hatte also überhaupt keine Ahnung von der ganzen Materie Rückwirkend betrachtet hätte mir das Ganze aber auch bei intensiverwr Aufklärung nichts genutzt, siehe Christiane F. Ich habe sowohl das Buch gelesen als auch den Film gesehen und danach wollte ich nichts lieber als nach Berlin und abstürzen.

Wie hast du die professionellen Hilfestellen empfunden? Was hätte da anders bzw. besser laufen können? Und was war vielleicht auch gut und hilfreich?
In den jungen Jahren hatte ich dazu noch überhaupt keinen Draht. Erst im späteren Verlauf, so mit 20, habe ich mir eigenständig dazu Hilfe geholt.

Wie hat deine Mutter es verkraftet, dass so vieles aus dem Ruder lief? Hast du das wahrgenommen?
Früher habe ich das nicht so bewusst wahrgenommen, glaube ich. Aber ich weiss, dass sie selbst auch total überfordert war. Das Ganze begann aber auch schon vor der Konsumzeit.

Du hast ja 14 Jahre – dein halbes Leben – in der Sucht „festgesteckt“. Uns würde interessieren, wie der Kontakt zu deiner Mutter während dieser Zeit war.
Der Kontakt zu meiner Mutter war jahrelang total beschissen. Aber auch schon lange bevor ich begann Drogen zu nehmen. Während der Grundschulzeit fing es bereits an, dass unser Verhältnis bröckelte. Mit Beginn der Konsumzeit und des Flüchtens in eine andere Welt, wurde es nur mehr schlimmer. Ich ließ mir einfach gar nichts mehr sagen, war tagelang unterwegs und wenn ich zuhause war, gab es immer nur Probleme. 

Als ich mit 19 auszog, wurde es zwar zum ersten Mal etwas besser, so richtig verbessert hat es sich erst Jahre später, nach mehrmaligen Clean Versuchen etc.

Wie hast du den Absprung geschafft und was war deine Motivation clean zu werden?
Das erste mal clean wurde ich als ich 2013 verhaftet wurde. Ich bin ehrlich – ich war wirklich erleichtert als es endlich passierte. Die ersten Tage war ich noch komplett zugedröhnt und überfordert. Aber bald begriff ich, was für eine riesige Chance das für mich war.

Zuvor war ich bereits total am Ende – psychisch und körperlich. Ich konnte einfach nicht mehr und hatte das Gefühl, ich könnte sowieso nichts machen, um das wirklich zu ändern. Das ich verhaftet wurde, war das Beste, was mir damals passieren konnte. So habe ich die Chance ergriffen und hab mich runter dosieren lassen, von Benzos (u.a. Beruhigungspillen) und Substituten (Ersatzstoffe für Heroin).

Nach meiner Haft fing ich allerdings das Trinken an, da es „ganz ohne Rausch“ ja auch Scheisse war. Obwohl ich Alkohol immer verabscheute, hat sich auch hier ein hoher Missbrauch eingestellt.

2019 war es dann damit mittlerweile so schlimm, dass ich teilweise mehrere Tage hintereinander getrunken habe und auch hier psychisch wieder total am Ende war.

Ende Oktober 2019 konnte ich nicht mehr und hatte endlich die Kraft erneut auf Entgiftung zu gehen und relativ kurzfristig auch auf Therapie.

Mit mehreren Stolpersteinen und Abbrüchen aufgrund diverser Gründe, habe ich es letztendlich dann doch geschafft, clean zu werden. Ich konnte und wollte so einfach nicht mehr leben und wollte nicht wieder dort enden, wo ich bereits her kam.

Ich war dann 1,5 Jahre komplett abstinent von allem, bis ich Januar ’22 wieder rückfällig wurde bis Sommer ’23.

Bis dahin lief es immer mal mehr mal weniger gut. Es gab Zeiten, da lief es ganz gut und dann gab es wieder Eskapaden. Letztendlich machte meine Psyche das einfach gar nicht mehr mit und daher habe ich nun wieder damit aufgehört.

Welchen Tipp würdest du anderen Eltern geben wollen, wenn sie befürchten, dass sich bei ihrem Kind eine Sucht anbahnen könnte?
Offene Kommunikation, keine Vorurteile, kein Schreien oder Meckern.. immer wieder das Gespräch suchen und vor allem, ganz wichtig, nach dem WARUM fragen.  So schwer es auch fällt.. Ärger bringt niemanden was oder hysterisch werden.

Wichtig ist, Ernst nehmen, Verständnis und Mitgefühl zeigen. Natürlich auch sagen, wie es einem selbst damit geht aber vor allem, die Bedürfnisse des Kindes wahrnehmen.

Was für ein Verhältnis hast du heute zu deinen Eltern? Habt ihr die Vergangenheit „gemeinsam“ aufgearbeitet ? Oder gibt es Themen, die besser nicht angerührt werden sollten?
Heute ist das Verhältnis zu meiner Mutter besser. Richtig aufgearbeitet haben wir aber nie etwas.

Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, dass es so richtig wohl auch nicht stattfinden wird und versuche stattdessen, für mich selbst einen Weg zu finden, meine Schuldgefühle beiseite zu schieben und besser mit meiner Mutter klar zu kommen, damit wir wenigstens noch ein paar gute Jahre haben.

Du hast den Instagram Account @sehnsuechtig_podcast gegründet und deinen eigenen „sehnsüchtig podcast“ gestartet. In beiden Formaten sprichst du ganz offen über Suchtthemen. Was war/ist  deine Motivation?
Nach einem Rückfall 2020 war ich erneut auf Therapie und wurde dort entlassen, aufgrund meiner Psyche. Ich solle mir doch bitte in einer Einrichtung Hilfe suchen, wo es mehr um meine psychiatrischen Diagnosen geht.

Danach hatte ich die Wahl: wieder frustriert in die Sucht springen oder mir etwas anderes suchen, um mir selbst zu helfen.

Kurz darauf bin ich auf @junkiesausmweb gestoßen. Ich hatte eh schon lange überlegt, einen Podcast aufzunehmen, wusste nur kein Thema. Die drei (damals noch vier) haben mich einfach inspiriert und ich habe meinen Mut zusammen genommen und selbst einen Podcast gestartet, um mir und anderen zu helfen. Das Feedback darauf war so super, dass ich mich darin bestärkt fühlte und weiter machte.

Im Podcast geht es auch um sehr persönliche Dinge, wie deine Kindheit und das Verhalten deiner Eltern. Und was sagen deine Eltern dazu? Verfolgen sie deine Aktivitäten?
Meine Schwester ist die einzige, die sich den Podcast angehört hat. Bei den anderen habe ich es mal erwähnt, jedoch bin ich ganz froh, wenn meine Eltern etc. es nicht hören. Ich glaube, es wäre zu krass für sie und ich könnte nicht mehr offen reden.

Wie sollte Prävention deiner Meinung nach gestaltet werden? Was ist hilfreich bzw. was glabust du, hätte dir geholfen?
Prävention sollte viel offener und näher am Menschen sein, kein erhobener Zeigefinger, sondern wirkliche Aufklärung und Gespräche über Safer Use – denn Konsum wird es IMMER geben. Ausserdem mehr „Lernen aus Lebenserfahrung“, wie z.B. bei @stigmaev, also mehr Betroffene als nur Personen, die das Ganze mal in der Ausbildung hatten.

Es ist einfach wichtig, nicht zu verteufeln, sondern realistisch und menschlich aufzuklären.

Sara