Erfahrungsexpertin: Yanna

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Ich bin Yanna und ich bin süchtig. Mit 15 habe ich angefangen zu Rauchen, Alkohol zu trinken und dann auch ab und an zu kiffen. Mit 19 habe ich zum ersten Mal Speed gezogen mit 23 kamen dann Ecstasy und Kokain dazu. Schnell hat sich der totale Wochenendrausch, mit meinem damaligen stark konsumierenden (Ex-)Freund, zum perfekten Ausgleich meines stressigen Alltags (Studium der Psychologie und Nebenjob in der Gastronomie) entpuppt. Einfach für zwei Tage der Realität entfliehen. Dinge fühlen, die ich so zuvor nie gefühlt habe, wie z.B. das (synthetische) Gefühl von Liebe und Verbundenheit durch MDMA oder die totale Entspannung durch den abendlichen Joint. (Falsches) Selbstbewusstsein durch Kokain und einfach dieses Gefühl dazuzugehören, in dieser Gruppe von eigentlich total traumatisierten Menschen. Aber ja, hier hatte ich das Gefühl unter Menschen zu sein, denen es geht wie mir. Die die selbe Leere spürten, die ihre Eltern für ihr eigenes Versagen verantwortlich machten. Die Schuld bei den anderen suchten, statt bei sich selbst hin zu schauen.

Aber irgendwann kam dieser Moment, als es mir sehr sehr schlecht ging und ich 4 Wochen in stationärer Therapie war (aufgrund einer Vorstufe von Burnout mit 26), in welchem ich verstanden habe, dass nur ich alleine für mein Leben, mein Glück und meine Gesundheit verantwortlich bin. Ich kann heute mit absoluter Ehrlichkeit sagen, dass ich meinen Eltern von ganzem Herzen dankbar bin, dass sie mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich bin. Denn nur durch alles, was ich erlebt habe, konnte ich ICH werden. Und das ist gut so. Ich weiß aus tiefstem Herzen, das meine (und ich glaube, ich spreche hier für alle besorgten) Eltern alles was sie taten, stets so gut gemacht haben, wie sie nur konnten. Und ich wünsche jedem Menschen, dass er/sie das irgendwann verstehen kann. Es gibt kein richtig oder falsch. Jeder handelt in jedem Moment so gut er/sie kann und auch ich wusste es zur Zeit meines Hochkonsums nicht besser. Ich habe mich nicht aktiv dafür entschieden, diese Schutzstrategie zu wählen. Dieser Weg hat sich langsam manifestiert, und es gibt niemanden, der dafür die Verantwortung trägt, außer mir selbst. Welche Sorgen und Ängste meine Eltern dadurch durchleben mussten, kann ich mir heute als selbst junge Mutter, sehr gut vorstellen und es tut mir aus tiefstem Herzen leid.

In dem Moment, in dem es mir so schlecht ging, dass ich nicht mehr wusste, wie ich die nächsten Tage überleben soll, war mir klar, dass ich meinen Eltern sagen musste, warum es mir unter anderem so schlecht ging. Und der Grund war, dass ich seit Jahren meine Probleme mit Drogen (Cannabis täglich, am We Speed, XTC und Kokain) kompensierte. Mir war in diesem Moment klar, dass wenn ich wirklich wollte, das mir richtig geholfen wird, ich das auch sagen muss. Das fiel mir unglaublich schwer, weil ich große Angst vor der Reaktion meines Vaters hatte. Meine Eltern leben schon sehr lange getrennt. Meine Eltern wussten nämlich nichts von meinem Konsum. Sie spürten, dass es mir nicht gut ging, wussten aber nicht wieso.

Mein Vater reagierte aber sehr liebe- und verständnisvoll, was mir sehr geholfen hat. Meine Mutter half mir mit ihren eigenen Erfahrungen in einer Rehaklinik, was mir die Angst vor einer stationären Therapie nahm. Ich gab meinen Eltern lange die Schuld dafür, das es mir schlecht ging. Dass ich all die traumatischen Erfahrungen habe machen müssen etc. aufzuwachsen in Patchworkfamilien, die hinten und vorne nicht wirklich harmonierten.

Erst als ich begriff, das ich entweder heute Erwachsen gramerfüllt in der Vergangenheit lebe oder voller Zuversicht in meine selbstgewählte Zukunft schaue, konnte ich meine Vergangenheit annehmen, als den Grund dafür, weshalb ich dieser wertvolle Mensch bin, der ich bin. Und ich konnte meinen Eltern zum ersten Mal mit Liebe und Verständnis begegnen, weil ich verstand, dass sie alle Entscheidungen für mich getroffen hatten und stets so gut handelten wie so konnten.

Ich fühlte mich im Nachhinein schlecht, weil ich ihnen so lange die Schuld gegeben hatte für mein eigenes Scheitern. Aber auch das konnte ich mir mittlerweile vergeben. Yanna