Bangen und Hoffen

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Als ich ein Spion war

Bis vor einigen Jahren lebte ich als ganz normaler Bürger in einem ganz normalen Beruf, stand morgens brav auf, fuhr ins Büro und kam abends wieder, ass mit meiner Familie zu Abend und schlief einen mehr oder weniger sorglosen Schlaf. Doch plötzlich fing mein Leben an sich grundlegend zu verändern.

Mein Sohn hatte angefangen zu kiffen und traf sich morgens vor der Schule mit anderen Jugendlichen, um zusammen einen kleinen Joint zu rauchen… Und dann irgendwann kam der langsame aber unaufhaltsame Abstieg, den viele Eltern suchtkranker Kinder kennen – spätes heimkommen, Schule schwänzen, aggressiv den Mitschülern gegenüber, Schlägereien in der Schule, Suspendierung vom Unterricht, kein Zähneputzen und keine geregelten Malzeiten mehr, nur noch in der Jogginghose, morgens wollte er nicht aufstehen… Ich musste und wollte also etwas tun in meinem Entsetzen.

Und ich beschloss, Spion zu werden. Ich rief die damaligen Freunde meines Sohnes an um zu fragen wo er sei und ob und was er genommen hätte, fuhr ihm nach oder ging ihm hinterher, suchte ihn im Dunkeln. Ich kaufte mir sogar ein Nachtsichtgerät und wartete hinter Büschen und beobachtet die Jugendlichen. Ich stand nachts auf, um sein Handy zu durchsuchen, die Ortungsfunktion zu aktivieren, die What’sApp Nachrichten zu lesen, machte mir Screenshots und schrieb mir verdächtige Telefonnummern auf, an die ich dann mit verdeckter Nummer SMS verschickte und mit Anzeige drohte, wenn mein Sohn weiter kontaktiert wird.

Ich nahm Kontakt auf zu anderen Eltern und zeigte ihnen, was ihre Kinder meinem Sohn angeboten hatten. Ich lag ganze Nächte auf der Lauer und wälzte mich schlaflos im Bett. Ich schnüffelte an jedem Tütchen oder Gegenstand, den ich in seinen Taschen fand, las jeden Zettel und fotografierte alles, durchsuchte sein Zimmer nach Geld und stellte ihn dann zur Rede. Meine Forderungen nach Hause zu kommen wurden mit einem „Einen Scheißdreck mach ich“ kommentiert und ich stand da im Regen und mein Herz krampfte sich zusammen.

Ich arbeitete nun auch mit der Polizei zusammen, hörte wenn mein Sohn telefonierte, lauschte bei halb geöffnetem Fenster und versuchte mir einen Reim auf die bruchstückhaften Sätze zu machen, die ich vernahm. Dann versuchte ich, sein Zimmer zu verwanzen, schaute durch das Schlüsselloch… Ich war weiterhin fest entschlossen, die Probleme zu lösen, obwohl ich unglaublich an dieser Kräfte- und Nerven- zehrenden Spionagetätigkeit litt.

Ich wurde immer panischer, schlief immer weniger und schlechter, konnte mich kaum auf meine andere Arbeit konzentrieren, meine Nackenhaare stellten sich vor Angst auf, wenn abends wieder mal das Telefon klingelte und die Polizei oder der Notarzt mich baten, meinen Sohn abzuholen. Und jetzt sage ich Euch noch, was all diese Spionageaktionen, die sich über ganze 2 Jahre hingezogen haben gebracht haben:

Mein Sohn rutschte immer tiefer in die Drogenszene, kam manchmal nachts nicht nach Hause, wurde endgültig von der Schule suspendiert, beschaffte sich Geld auf allen möglichen Wegen, zerschlug einige Möbel und Türen in unserem Haus, wurde immer frecher und aggressiver, sprang aus dem Fenster, wenn wir die Haustüre abschlossen, verletzte sich selber, wurde verprügelt und mehrfach vom Rettungswagen in Kliniken gebracht, Anzeigen von der Polizei…immer härtere Drogen, Verwahrlosung, Panikattacken bei ihm und bei mir….er verbrachte fast 3 Monate auf der Straße.

ALSO, LEUTE MACHT NICHT DEN GLEICHEN FEHLER WIE ICH! Spionage ist bei dieser Problematik komplett nutzlos. Sie bringt überhaupt keine Verbesserung, sondern zehrt Eure körperlichen und psychischen Kräfte komplett auf ohne Euren Kindern zu helfen. Und danach braucht ihr selber einen verdammt guten Psychologen, der Euch da wieder rausholt.

Besser hätte ich Wanderungen gemacht, wäre Schwimmen und in die Sauna gegangen, hätte Mozart gehört oder meine Zeit in einer Elternselbsthilfe-gruppe verbracht und mich mit den netten Leuten dort unterhalten. Gebt Euren betroffenen Kindern einfach ein Handy und sagt ihnen, dass sie Euch Tag und Nacht anrufen können, wenn sie Hilfe brauchen und nicht die Ortungsfunktion aktivieren! Wolfgang


Auf der Flucht

Als sich abzeichnete, dass meine Anstrengungen als Spion völlig erfolglos waren, wollte ich dennoch nicht aufgeben meinen Sohn zu retten und dachte mir eine andere Strategie aus: Die unangekündigte blitzartige Flucht aus dem Kölner Raum. Umzug in ein ganz anderes Umfeld mit anderen Leuten, ganz neu anfangen. Gesagt getan, wir fuhren in den Sommerferien nach Budapest sagten meinem Sohn aber nicht, dass wir für immer da bleiben wollten. Am Ende der Sommerferien wollten wir ihm dann mitteilen dass wir dorthin umziehen. Als mein bester Freund von diesem Plan erfuhr, lud er mich zum Frühstück ein und sagte mir, dass dieser Umzug ein riesen Fehler wäre und dass ich das Problem damit nicht lösen würde…

Aber ich blieb dabei. Kaum waren wir eine Woche in Budapest als mein Sohn das erste mal im völlig berauschten Zustand nach Hause kam, er hatte einen jungen Mann kennengelernt der eine leerstehende Wohnung hatte in der jeden Abend die Post abging. Er wurde schnell genau so schlimm wie in Köln, und schon fing er wieder an die Türen in unserer neuen Mietwohnung zu knallen und uns laut anzuschreien und nicht vor 13 Uhr aus dem Bett zu kommen…

Als die deutsche Schule in Budapest von diesem Problem erfuhr, weigerte sie sich ihn aufzunehmen und so standen wir nach 5 Wochen und mehreren tausend Euro Kosten da ohne Schule und ohne Zukunft. Noch am selben Tage verließen wir fluchtartig Budapest wieder. Aber ich blieb hart und wir verbrachten einige Tage in einer Pension im Bergischen Land, nur nicht wieder ins alte Haus zurück wo der Notarzt und die Polizei unsere täglichen Gäste waren.

Dann überredeten wir meinen Sohn eine Entziehungskur zu machen aber er brach sie nach 2 Wochen ab. Ich gab nicht auf, wir fuhren weiter nach Paris zu seiner Tante und verbrachten dort einen Monat bis mein Sohn endlich wieder in eine Entziehung einwilligte; wir fuhren von Paris aus direkt dorthin aber er verweigerte die Aufnahme!

Diesmal fuhr ich mit ihm alleine nach Ostfriesland in eine Ferienwohnung um die Wartezeit für einen nächsten Aufnahmetermin zu überbrücken, wir kennen die Gegend von unseren Urlauben und ich dachte es wäre eine sichere und drogenfreie Umgebung bis mir ein Polizist sagte, dass wenn ich das gedacht hätte müsste er mir leider mitteilen, dass die Stadt Norden ein Drogenhotspot sei….

Und das Elend nahm nie gekannte Ausmaße an… es war entsetzlich, mein Sohn verkaufte alle seine Habseligkeiten und wurde mehrmals brutal zusammengeschlagen, Polizei Notarzt, blutige Handtücher, geklautes Fahrrad Unfälle,
Schreiereien…die schlimmste Zeit meines ganzen Lebens. Dann nahte endlich nach 3 Monaten ein neuer Aufnahmetermin…Mit letzter Kraft teilte ich ihm diesen mit worauf er mir sagte. „Papa ich will da nicht hin, ich lass mich nicht einsperren, fahr Du ruhig zurück nach Köln, ich bleibe auf jeden Fall hier“ …packte seinen Rucksack und fuhr mit meinem Fahrrad davon. Ich war so gut wie tot, räumte die total versiffte Ferienwohnung auf und floh alleine nach Köln. Auf der Fahrt, Panikattacke, wieder zurück; noch eine Nacht heimlich auf einem Bauernhof in Ostfriesland übernachtet und dann zitternd alleine zurück nach Köln.

Mein Sohn verbracht danach mit 17 fast 3 Monate auf der Straße verlor 30 kg und ist fast gestorben. Ich war verzweifelt und hoffte 3 Monate auf seine Einsicht.

Euch allen die Ihr das lest möchte ich sagen, dass eine Flucht nur Zeit und Geld und Eure Gesundheit kostet aber ein bitteres Ende nicht verhindert und die Situation kein bisschen verbessert. Bleibt lieber wo Ihr seid und und versucht das Problem vor Ort zu lösen. Hätte ich besser auf meinen Freund gehört.

Wolfgang


Weinende Mütter

Es gibt viele weinende Mütter von drogen- abhängigen Kindern. Für uns alle bricht eine Welt zusammen, wenn wir erfahren, dass unsere Kinder süchtig sind.

Man hat Angst vor dem Ende, doch man soll die Hoffnung nicht aufgeben und jeden Tag einen neuen Anfang starten. Das ist das, was uns vielleicht auch ein Stückchen stärker macht. Wir sollten uns nicht immer die quälende Frage stellen, was wir verkehrt gemacht haben, in der Erziehung oder ob wir in verschiedenen Situationen falsch reagiert haben. Man macht sich nur kaputt damit, denn eins ist mal sicher: Wir haben unseren Kindern nicht die Drogen in die Hand gedrückt. Anja


Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.

Als ich bemerkte das mein Sohn Drogen nimmt, war er 13 Jahre alt und ich eine junge unerfahrene Mutter. Drogen waren für mich bis dahin in weiter Ferne, spielte mein Ältester doch noch mit seinen Legosteinen und das passte nicht zu meinem Bild eines Drogenabhängigen. Vier Jahre später diagnostizierten die Ärzte eine Doppeldiagnose (Sucht und Schizophrenie)

Wir haben viele schlimme Situationen, Zwangseinweisungen erlebt. In einer unglücklich verkannten Situation verletzte mein Sohn mich so schwer, dass ich mehrmals operiert wurde. Mein Sohn wurde als nicht schuldfähig in die Forensik verurteilt. Meine und seine Lage erschienen mir so hoffnungslos und ich sah unsere Zukunft nur noch dunkel.

Kann ich ihm das verzeihen? Können wir jemals wieder miteinander reden? Ich habe nicht aufgegeben und den Übergriff auf mich als seine Krankheit gesehen. Meine Hoffnung auf seine Heilung ist nicht mehr, …aber wir können wieder miteinander umgehen, uns lieben und Halt geben.

Nach acht Jahren Forensik darf er bald in ein betreutes Wohnheim und ich hoffe für ihn das er es schafft ein einigermaßen lebenswertes Leben zu führen. Auch wenn es nicht das Leben ist, was wir uns füreinander gewünscht haben. Anja


Hoffnungsfroh

Viele meiner Gefühle im Zusammenhang mit meinem suchterkrankten Sohn waren lange Zeit sehr dunkel und intensiv: tiefe Trauer, große Angst, immense Wut, extreme Machtlosigkeit. Viel Schatten.

Irgendwann ist mir der Gedanke gekommen, dass es zum Ausgleich in meinem Leben wichtig ist, mich nicht in der Intensivierung dieser dunklen Gefühle zu verlieren, sondern meinen inneren Scheinwerfer auf die kleinen, zarten, positiven Gefühlspflänzchen zu lenken, die im Beziehungslicht zu meinem Sohn wachsen. Wo viel Schatten, da viel Licht! Ich habe sein Vertrauen zu mir wahrgenommen – und mich sehr darüber gefreut, seine Gesprächsbereitschaft “gesehen” und nicht nur seine Lügen gehört, seine Bemühungen erkannt, sich mit seiner Krankheit auseinander zu setzen, wenn diese Bemühungen auch noch so klein waren. Zur Zeit ist mein Gefühl: Hoffnungsfroh! Luca hat sich entschlossen, einen ganz großen Schritt zu machen, um der Sucht zu entkommen. Er hat sich auf den Hof der Fleckenbühler begeben. „Die Fleckenbühler e. V.” ist eine Lebens-gemeinschaft und Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Suchtproblemen, die ohne Drogen, Alkohol, Tabak und Gewaltanwendung leben wollen.

Die Fleckenbühler arbeiten ohne angestelltes Fachpersonal, es gibt keine Therapeuten, Ärzte, Psychologen oder Sozialarbeiter. Als anerkannt gemeinnützige Selbsthilfe-Gemeinschaft werden Organisation und Verwaltung vollständig durch die Mitglieder selbst geleistet. Bereits länger in der Gemeinschaft lebende Menschen helfen auf der Grundlage eigener Erfahrungen und durch Vorbildfunktion den Neuankömmlingen zur Abkehr von ihrer Sucht, zu Gemeinschaftsfähigkeit, zu Stabilität, sozialer und beruflicher Kompetenz und somit zu Selbstständigkeit.

Dieser Ansatz der Selbsthilfe geht davon aus, dass die Betroffenen selbstverantwortlich im Stande sind, sich die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen, um ein zufriedenes Leben zu führen, das heißt, dass Suchtprobleme eher als Lern- bzw. Kompetenzdefizite oder Fehlanpassungen aufgefasst werden. Deswegen ist die aktive freiwillige Teilnahme der Betroffenen an der Lösung ihrer Probleme Voraussetzung für den Aufenthalt in dieser Gemeinschaft.

Die Regeln sind einfach, aber hart: Keine Drogen, Alkohol, Zigaretten, bewusstseinsverändernde Medikamente oder andere Suchtmittel. Keine Gewalt, keine Androhung von Gewalt. Kein Tabak, alle sind Nichtraucher. Ein Verstoß gegen eine dieser Grundregeln bedeutet den Ausschluss aus der Gemeinschaft. In den ersten sechs Monaten ist eine Kontaktpause einzuhalten, damit sich die Neuankömmlinge in ihrem neuen Lebensumfeld einleben können und Rückfälle verhindert werden.

Kein Kontakt. 6 Monate! Ich könnte traurig sein, bin aber froh. Ich bin sehr hoffnungsfroh, weil mein Sohn schon seit Anfang September dort ist. Weil er schon 62 Tage durchgehalten hat. Weil die Stille auch schön sein kann. Hoffnungsfroh. Ich habe Luca einen Brief geschrieben. Silke