Gefühle

Start » Reflexion » Gefühle

An alle Mütter suchterkrankter Kinder:

Wir alle wissen darum, wie grausam die Sucht das Familienband belastet, wie traurig, betroffen und gedemütigt wir uns fühlen, wenn wir spüren, dass wir gehasst, grob beschimpft und beleidigt werden. Wir haben ja auch überhaupt keine Ahnung davon, warum sich unser Kind so heftig in die Sucht verliebt hat, dass alles, aber auch wirklich alles andere untergeordnet wird.

Mit jedem neuen Streit aus unserer berechtigten Sorge heraus, erfahren wir nichts als Verachtung und Ablehnung. So kennen wir es, und irgendwann wird es zur Gewohnheit, und wir lernen emotional, auch das zu akzeptieren, dass wir uns nicht einzumischen haben und uns um uns selbst kümmern sollen; auch wenn es uns enorm viel Selbstbeherrschung kostet, ganz normale Fragen nach unserem Kind so zu beantworten, dass keine weiteren Fragen gestellt werden.

Erst wenn wir diesen Schritt der emotionalen Ablösung und der Gewöhnung vollzogen haben, fühlt es sich wieder besser an und wir werden tapferer, wir tolerieren diesen schiefen Zustand, der von außen am ehesten mit einer Art Funktioniermodus bezeichnet werden kann, insbesondere, wenn auch noch Geschwisterkinder im Haushalt leben, die häufig still und unauffällig vor sich hin leiden oder sich ganz distanzieren.

Und wenn wir uns damit eingerichtet haben, einer Selbsthilfegruppe angeschlossen und Seminare über Gesprächsführung besucht, wenn wir scheinbar alles Wissen von anderen aufgesaugt haben, gibt es in jeder Beziehung diese magischen Gänsehaut Momente, in denen unser mühsam erworbener Schutzwall aufreißt, heiße Tränen aufsteigen und wir uns unseren Kindern schlagartig ganz nah fühlen. Einer dieser Sätze, der die Kraft hat, uns emotional vollkommen umzuhauen, heißt schlicht „Mama, wie geht‘s dir?“

Das Feeling, das uns dann überkommt, ist der berühmte Kloß im Hals, wenn wir realisieren, dass sich das suchtkranke Kind tatsächlich noch für uns interessiert und nicht immer nur um sich selbst und seine Sucht kreist. Diese Frage könnte sogar eine Wende einleiten, zumindest sollte man sich so eine Äußerung aufschreiben und immer bei sich tragen, sie als Hoffnungsschimmer deuten – das Band ist noch da! Christine


Mein Kompass

Immer wieder werde ich mit dem Satz konfrontiert «Meine Gefühle sind okay und sie sind der innere Kompass des Lebens.» So auch an unserem letzten online-Treffen für Eltern drogensüchtiger Kinder.

Natürlich kann ich damit umgehen, wenn es sich um positive Gefühle handelt. Was ist aber wenn es trübe Gedanken sind? Trauer, Wut, Enttäuschung, Angst. Oft, vielleicht sogar meistens, schiebe ich sie auf die Seite mit den Gedanken: «Mit mir stimmt doch etwas nicht», oder «Bist wieder empfindlich» oder «Naja, bist halt zu schwach». Manchmal dränge ich sie vehement weg und vermeide sie, indem ich mich ablenke (oft aus Angst in ein Tief zu fallen).

Manche Leute behaupten, mein innerer Kritiker sei zu stark, ich müsse lieber sein mit mir selbst. Das alles höre ich, doch verstehe ich das wirklich? Wie macht man das? Wie vermeide ich es, in Selbstmitleid zu verfallen (ist gar nicht mein Ding)? Wieviel einfacher wäre es, wenn der innere Kompass besser funktionieren würde? Wieviel sicherer wäre ich dann gegenüber meinem «Ninja-Substanz-Fighter» (gemeint ist mein Sohn)?

Könnte ich dann nicht einfacher «Stopp» sagen, «So nicht mit mir»? Wäre ich dann sicherer in dem, was ich will? Hätte ich so eventuell unsere ganze Situation gar vermeiden können? Ich möchte den Kompass reparieren, lieber sein mit mir…doch «noch» sind diese Worte nicht von meinem Kopf in mein Herz… somit in meine Gefühle gewandert… aber ich komme dem Ganzen langsam auf die Spur.

Was mich umtreibt…. Was wollen mir die einzelnen Gefühle sagen? Wut, Angst, Trauer etc.? Wie lese ich „den Kompass“ ab, wenn mich die Angst packt und wie erkenne ich, wie ich sinnvoll darauf reagiere? Wie liebe ich mich ohne egoistisch oder selbstsüchtig zu werden… wovor hat man Angst beim Gefühle zulassen?


Trauer

“Trauer hat viele Gesichter. Auch die Trauer über die verlorene Gesundheit und das ungenutzte Potenzial unserer erkrankten Kinder braucht ihren Platz.“

Trauer ist unsere Reaktion auf einen tief empfundenen Verlust und hat viele Gesichter. Sich von den Wünschen, die man mal für sein Kind hatte, zu verabschieden, löst ebenfalls Trauer in uns aus. Und jede nicht geweinte Träne brennt sich tief in unser Herz hinein. Die Trauerphase ist wichtig, um danach besser akzeptieren zu können.

Auch über unser nicht gelebtes Leben dürfen wir trauern. Es werden Narben bleiben und sicherlich werden die immer wieder mal aufplatzen.

Auch das sollten wir zulassen, aber versuchen, nicht darin zu verharren. So unbeschwert wie vor der Krankheit unserer Kinder, wird es nicht mehr. Auch heute noch wirft mich einiges zurück, dennoch lasse ich in dem Moment meine Trauer zu. Ich will sie nicht verdrängen und nur funktionieren, als wäre ich wie ferngesteuert. Nach vielen Tränen kann man auch wieder leben. Als ich jünger war, habe ich die Tränen geschluckt und das hat mich krank gemacht. Heute lasse ich sie zu und nach dem immer kürzer werdenden Tal der Tränen, gehe ich gestärkt in den Alltag zurück. Ich kann nur von mir sprechen, aber das ist meine Strategie, den Schmerz zuzulassen und verarbeiten. Das ist allerdings ein langer Lernprozess für mich gewesen und ist es heute noch. In den schlimmsten Phasen meines Lebens habe ich gedacht: „Das Überlebe ich nicht.“ Heute weiß ich, durch meine langjährigen Erfahrungen mit Eltern, dass wir stärker sind als wir uns zutrauen. Trauer zuzulassen, ist keine Schwäche, sondern Stärke und keiner von uns sollte sich seiner Tränen schämen. Anja


Enttäuschung – Silkes Sicht

Wir waren uns sicher, dass unser Sohn es diesmal schafft. Pünktlich nach Hause zu kommen. Zur Schule zu gehen. Clean zu bleiben. Nicht mehr zu lügen, zu betrügen. Dass all seine Versprechen auch von ihm eingehalten werden. Dass er es mit all seinen Worten ehrlich meint. Wir wurden enttäuscht. Immer und immer wieder. Was ist Enttäuschung? Enttäuschung wird definiert als die „Nicht-Erfüllung einer Hoffnung, eines Wunsches oder einer Erwartung“

Doch vor allem ist Enttäuschung ein negatives Gefühl, das sich manchmal anfühlt, als würde deine ganze Welt zusammenbrechen. Enttäuschungen haben aber auch was Gutes: sie sollen angeblich stark machen. Also, hier bin ich, die stärkste Frau der Welt, sozusagen die Mutter von Pippi Langstrumpf:-) Leider kann ich aber immer noch keine Pferde hochheben und keine Berge versetzen.

Was ich aber versetzen kann, ist meine Perspektive. Wenn ein Kind geboren wird, ist der schönste Gedanke der, eine bedingungslosen Liebe zu diesem Kind aufzubauen. Ich war mir bei der Geburt meines Sohnes so sicher, dass ich gar nichts niemals von ihm erwarten möchte – und er einfach wunderbar und perfekt ist, so wie er auf die Welt gekommen ist.

Ein Wechsel in der Perspektive, der mir sehr geholfen hat. Für den ich aber lange gebraucht habe. Und ich falle immer wieder in die Verschmelzung von Enttäuschung über den Mensch und die Enttäuschung über sein Verhalten zurück. Ich würde mir einfach manchmal so sehr wünschen, dass „alles wieder gut“ ist. Aber auch das ist eigentlich eine Fehlinterpretation….

Denn vieles ist bereits gut – auch in all diesem Chaos! Hoffnung zu haben und nicht aufzugeben, bedeutet ja nicht, dass am Ende alles gut wird, sondern dass wir hoffentlich noch ganz viele schöne Momente zusammen mit unseren Kindern haben. Egal wie, egal wann egal wo! Und das ist allein eine Frage der persönlichen Interpretation.

Mir beschert ein schönes Telefonat mit meinem Sohn schon einen großartigen Moment 🙌🌼 Silke

Enttäuschung – Christines Sicht

„Wir müssen schauen, wie Enttäuschung entsteht, um sie auflösen zu können. Und das kann bedeuten, dass wir uns von unseren eigenen Träumen verabschieden müssen.”

Lange bevor meine Tochter in die Pubertät kam, hatte ich das Gefühl, dass sie ein sehr glückliches Kind sei. Sie konnte sich unbändig freuen, zum Beispiel beim Anblick des Meeres, zu Weihnachten, wenn sie ihre Geschenke auspackte oder wenn sie mich länger nicht gesehen hatte, und dann kreischend auf mich zu gerannt kam. In der Pubertät hat sie dann nach und nach alle ihre Interessen zurückgefahren, wollte nicht mehr in den Schwimmverein, nicht mehr zum Klarinettenunterricht, wurde zunehmend schlechter in der Schule und lag irgendwann nur noch launisch mit ihrem Handy auf dem Bett.

Auch die Familienurlaube wurden durch ihre starrsinnige Weigerung, irgendetwas mit uns gemeinsam zu unternehmen, stark belastet. Nichts konnte man ihr recht machen und ständig gab es Streit, insbesondere mit der jüngeren Schwester. Ich wusste und spürte zu dieser Zeit, dass sie überhaupt nicht mit sich selbst im Reinen war, dass sie sich beispielsweise selbst nicht mochte und dass sie davon träumte, cool zu sein, was sie ja offensichtlich ihrer Meinung nach nicht war. Zu dieser Zeit war ich zum ersten Mal von meinem Kind enttäuscht, weil ich nicht mehr an sie herankam.

Ich konnte nicht verstehen, warum sie sich bei so vielen Dingen weigerte und so viel Widerstand in sich hatte, sich das Leben selbst so schwer machte und auch nicht mehr bereit war, ihre alltäglichen Pflichten zu erfüllen. Wir träumten schon davon, sie in ein britisches Schulinternat zu schicken, hatten aber keine Ahnung von ihrer sich anbahnenden Depression. Das habe ich erst gemerkt, als sie schon 18 war und sich über wirklich überhaupt nichts mehr freuen konnte, sie hat zu diesem Zeitpunkt ihre Umgebung gar nicht mehr wahrgenommen (Covid). Da hatte ich zum ersten Mal die Eingebung sie zu fragen, ob sie Hilfe brauche.

Danach waren wir alarmiert und verständnisvoll, telefonierten wild, organisierten und dachten, mit Therapie und den richtigen Medikamenten würden wir das Problem schon lösen und sie dazu zu bringen, wieder aktiv am Leben teilzunehmen. Ihr 19. Geburtstag war dann jedoch eine sehr herbe Enttäuschung für mich, ein weiterer Tiefpunkt unserer Beziehung. Nachdem sie mit ihren Freunden reingefeiert hatte, waren wir für den nächsten Tag verabredet (Geburtstagstisch, Kerzen etc). Sie kam aber nicht, denn sie hatte uns total vergessen, war in erschreckendem Zustand und wollte nicht nach Hause.

Von der Drogensucht habe ich das erste Mal von ihrer Psychotherapeutin erfahren. Sie wollte mich sprechen, um mir behutsam beizubringen, dass sie eine stationäre Behandlung für dringend erforderlich halte. Die Worte, die sie damals wählte, sicherlich um mich zu schonen, waren, dass es ja nicht Krebs oder eine andere unheilbare Krankheit sei. Zu diesem Zeitpunkt habe ich das erste Mal einen Teil meiner Träume begraben müssen. Es hatte mich maximal enttäuscht und erschüttert, auf eine Krankheit Rücksicht nehmen zu müssen, die mir ihren Namen so lange nicht verraten hatte. Christine

Umgang mit Angst

Es reicht nicht, über Angst zu reden, wir müssen sie fühlen, um mit ihr umgehen zu lernen. Versuche, dich deinen Ängsten zu stellen und diese zu hinterfragen. Nur selten verschwinden Ängste, wenn wir sie verdrängen.

Angst hat eine Schutzfunktion und ist überlebenswichtig. Oft glauben wir jedoch, dass Angst uns lähmt und schadet und versuchen sie zu vermeiden. Wir haben Angst vor der Angst. Wichtig ist, dass du dir bewusst machst, dass Angst auch eine Bedürfnisfunktion hat. In der Angst steckt das Bedürfnis nach Schutz, Sicherheit und Trost. Frage dich, wovor du Angst hast und welches Bedürfnis genau dahinter steckt. Bleibe ganz bei dir und vermeide, dir vorzustellen, was alles passieren könnte.

Das hilft dir, Situationen realistisch einzuschätzen. Versuche die Angst zu akzeptieren, sie zuzulassen und auszuhalten. Wenn wir die Angst spüren, uns mit ihr “anfreunden”, hilft uns das einen Umgang mit ihr zu finden. Kennst du das befreiende Gefühl, das beispielsweise Weinen hervorrufen kann… wenn der Knoten platzt? Wichtig: Wenn deine Angst extrem ausgeprägt ist und deinen Alltag dominiert, oder du wiederholt Panikattacken hast, sprich mit jemandem, rede mit deinem Hausarzt oder such dir professionelle Hilfe.

Angst ist ein sehr dominantes Thema für uns als Eltern suchterkrankter Kinder. Unter dem Hashtag #angstüberwinden findest du bei Instagram sehr viele hilfreiche Beiträge. Es gibt viele Accounts, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Auch im Internet findest du ganz viel zum Thema Angst und Angstbewältigung. Ein Seminar zum Thema Umgang mit Ängsten kann auch eine unglaublich große Hilfe sein. Bleib mutig – du bist stärker als du denkst.