Beziehung zum Kind

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Es gibt wohl wenig komplizierteres als das Verhältnis zum eigenen Kind. Nirgendwo liebt man so intensiv und bedingungslos, nirgendwo fühlt man sich mehr verantwortlich, nirgendwo sieht und spiegelt man sich selbst so sehr.
Die härteste Aufgabe als Vater und Mutter , sagt man, ist, sein Kind in die Welt zu entlassen und ihm oder ihr Verantwortung für sein/ihr eigenes Leben zu übergeben.
Und zu ertragen, ihm oder ihr auch beim Scheitern zuzuschauen….


Wer bist du ?

„Ein faszinierendes neues Menschenwesen… ausgestattet mit allen Werkzeugen für ein erfülltes, glückliches, selbstbestimmtes Leben – und wir ahnen noch nichts von dem Ritt auf der Rasierklinge, der uns bevorsteht.“

Für die meisten Eltern der schönste Augenblick im Leben, die Geburt, ein faszinierendes neues Menschenwesen, eine Miniaturabbildung unserer eigenen Körper und vor allem – ein Meisterwerk der Natur, ausgestattet mit allen Werkzeugen für ein erfülltes, selbstbestimmtes, glückliches Leben, an dem wir teilhaben dürfen…….denken wir in unserem Ausnahmezustand, angefüllt und eingehüllt in Glückshormone….

Es ist ein wunderbares Geschenk, dass wir in solchen Momenten nicht ahnen können, was uns als Eltern noch erwarten wird. Daher ignorieren wir auch häufig die allerersten sich anbahnenden späteren Vorzeichen einer Suchterkrankung, denn darauf kann man sich unmöglich vorbereiten. Vom Ahnen über das Erkennen, über das Verstehen und Begreifen bis hin zum darüber Sprechen (nach langem Ringen um geeignete Formulierungen) ist es meist ein sehr langer, überaus steiniger und qualvoller Weg.

Ich möchte dich so gern besser verstehen und mein eigenes Verhalten daran ausrichten, denn ich bin trotz meiner Lebenserfahrung und meines Alters beim Thema Sucht so unvorbereitet und überfordert, fühle mich von dir allein gelassen in meiner Elternrolle. Aber wir sind ja nicht allein, die Suchterkrankung gibt es schließlich schon seitdem es Suchtmittel gibt.

Neu daran ist, mit anderen Eltern in den Austausch zu gehen und so gemeinsam all unser angehäuftes Wissen weiterzugeben – nicht nur untereinander sondern bis hin zu unseren suchterkrankten Kindern. So werden wir uns der Antwort auf die Frage „wer bist du“ am vielversprechendsten annähern, probiert es selbst aus und lasst euch überraschen. Christine


Nichts und wenig

Das Schlimmste für mich war, mit ansehen und aushalten zu müssen, wie mein Sohn bei -mehr oder weniger- lebendigem Leib immer mehr verschwand, und eine Person zum Vorschein kam, die ich nur schwer ertragen oder gar lieben konnte.

Er hat unter Drogenkonsum gelogen und betrogen, uns bestohlen und war im psychotischen Zustand nicht mehr der, den ich geboren und wir großgezogen hatten.

Dieser Zustand hat mir als Mutter das Herz zerrissen. Ich habe mir so sehr gewünscht, ihn halten zu können, auf seiner Rutschbahn in „die Hölle“, und ich habe mich immer wieder gefragt, was ich falsch gemacht habe, und was ich jetzt nur tun könne, damit sich dieser unerträgliche Zustand ändert.
Die Antworten sind einfach und sehr traurig: nichts und wenig!
Allerdings kann wenig durchaus viel bewegen… 🙂

Heute weiß ich durch viele Gespräche mit meinem Sohn, dass ihm selber nicht einfällt, an welcher Stelle ich etwas „falsch gemacht“ haben könnte. Ich habe schlichtweg nichts falsch gemacht!

Sein Weg

Mein Sohn wollte diesen seinen Zustand genau so wie er ihn sich zugeführt hat. Er wollte genau diese vermeintlichen Freunde, die er zu diesem Zeitpunkt hatte. Er wollte genau dieses Leben, diese Rutschpartie, dieses Spiel mit dem Feuer…

Er hatte sich für diesen Weg entschieden , und das einzige was ich in dieser Situation tun konnte, war wenig, aber wirkungsvoll: ihm auf seinem Weg Leitplanken zu geben (die Hauptaufgabe von uns Eltern), Orientierungshilfen zu bieten, Begrenzungen links und rechts zu setzen, und so immer im Gespräch zu bleiben. Immer und immer.

Schau: dieses Haus, dein Zimmer, deine Geschwister, das ist deine Schutzzone. Wir brauchen dich, wir vermissen dich, wir lieben dich!
Aber du darfst hier nicht konsumieren, das zerstört uns alle, das zerbricht uns das Herz, du machst uns sehr traurig. Das geht nicht!
Du konsumierst trotzdem? Ich trete die Tür ein. Ich schmeiße die Sachen aus dem Fenster. Deine Brüder schreien. Nachher weinen wir alle.
Wir wollen nicht, dass du gehst. Aber du musst dich an bestimmte Regeln halten. Damit alle geschützt sind.

Die Pferdeflüsterin

Lieber Sohn. Dein Herz ist nicht aus Stein. Auch du weinst und sagst, ob ich eigentlich denke, dass dein Zustand ein schöner ist? Und ich sage laut: Nein. Er ist beschissen! Lass mich dir helfen. Und es ist ein zartes, aber es ist ein Band. Eine Verbindung.
Wir lieben dich. Wir lieben dich. Wir lieben dich.

Ein Freund, er ist Psychologe, sagt mir, dass ich jetzt die Rolle einer Pferdeflüsterin einnehmen müsste. Immer wenn mein Sohn sich hervor wagt, ganz vorsichtig, ganz zart, dann muss ich zupacken. Ihn mit meiner Liebe überschütten, ihn wie in einer Decke einwickeln und fangen – und ihm Hilfe anbieten. Immer und immer wieder. Irgendwann, wird das fruchten.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Zum Glück.

Liebe

Eigentlich möchte ja niemand gerne sterben. Dafür ist das Leben einfach zu schön. Und solange dieser Funke noch vorhanden ist, gibt es immer wieder diese Momente, in denen man zugreifen kann! Seine Hand reichen, seine Arme öffnen kann.

Ich habe „Lieben“ noch nie so schwer empfunden wie in vielen Stunden bei meinem Sohn. Und ich war dankbar, um jede Unterstützung, die ich hatte. Aber aus meiner Erfahrung heraus würde ich heute sagen, es ist die einzige Möglichkeit, die wir überhaupt gegen die Drogensucht haben. Liebe.

Und: Da sein.

Silke


Wer ist Archie ?

Meine Liebe zu meinem Sohn ist grenzenlos… so wie es den meisten Müttern geht. Doch fiel es mir zunehmend schwer, das was da ist, wenn er High ist, zu lieben.

Es fühlt sich an als wäre etwas anderes da, was den Körper meines Sohnes benutzt und sein wunderbares, liebevolles und kluges Wesen überdeckt. Was Sachen macht und Dinge sagt, was mein Sohn nicht machen bzw. sagen würde. Wie ein Tuch, das sich über mein Kind legt und es gefangen hält. Wenn er nicht high ist, verschwindet dieses Tuch und mein Sohn kommt wieder zum Vorschein.

Irgendwann gab ich dem „Geiselnehmer“-Sohn den Namen Archie. Archie, weil er ein zerstörendes Arschi ist. So kann ich mir erlauben die Droge und die Taten, die Archie macht, zu hassen, und doch weiss ich, dass da drin mein geliebter Sohn ist, den ich über alles liebe. Ich bin da, wenn er hervorkommt und stärke ihn so gut ich kann, während ich Archie nur gerade so viel beachte, um nicht zu verpassen, wenn er mir wieder mal meinen Sohn freilässt. Sandy


„Ich habe mir erlaubt, meinen Sohn wieder zu lieben und ihm meine Liebe auch zu zeigen.“

Als meine Sohn anfing Drogen zu nehmen war ich total entsetzt, wurde dann panisch, fing an Druck auszuüben, wurde sehr wütend, machte ihm dauernd Vorwürfe und schimpfte nur noch, kontrollierte ihn, schrie mit ihm, warf sogar sein Handy an die Wand sodass alle seine Kontakte verschwunden waren, mein Herz wurde zu Stein, kein liebes Wort mehr, meine Seele war vergiftet in ständiger Bitterkeit.

Dann habe ich gemerkt, dass alle meine Vorwürfe und mein Liebesentzug (über 3 Jahre!) überhaupt keine Verbesserung der Situation gebracht hatten und nur eine große Trauer in mir erzeugt haben. Nach dem Kommunikationsseminar ging mir dieses Licht auf und ich beschloss mich meinen Sohn wieder zu öffnen und mir zu erlauben ihn wieder zu lieben und ihm das auch zu zeigen.

Ich nehme ihn wieder in den Arm, sage ihm dass ich mich freue ihn zu sehen wenn er kommt, lobe ihn wenn er mir hilft, lade ihn zum Eisessen oder ins Aqualand ein und spreche mit ihm auf Augenhöhe wie ich mit ihm sprechen würde wenn er kein Drogenproblem hätte. Das hat eine riesige Betonplatte von meinem Herz genommen und unser Leben und unsere Beziehung unglaublich zum Positiven verändert. Wolfgang