Warum Loslassen manchmal die beste Hilfe ist.
Die richtige Balance zu finden zwischen Unterstützung und Abgrenzung ist einer der größten Konflikte, die wir als Eltern eines suchterkrankten Kindes bewältigen müssen. Helfen – das ist doch das Natürlichste der Welt für uns Eltern. Wir wollen unsere Kinder schützen, unterstützen, sie auf den richtigen Weg bringen. Doch manchmal bedeutet wahre Unterstützung eben, nicht einzugreifen, sondern unseren Kindern Raum für eigene Erfahrungen zu lassen.
Zwischen Unterstützung und Abgrenzung – warum Abgrenzung wichtig ist
Denn wenn wir Eltern immer eingreifen, Probleme lösen oder Entscheidungen abnehmen, nehmen wir unseren Kindern auch die Chance, eigene Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Doch genau diese Fähigkeit ist essenziell, um Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.
Selbstwirksamkeit entsteht, wenn man eigene Herausforderungen meistert – mit allen Konsequenzen. Und die stärkste Motivation für Veränderung ist die, die aus uns selbst, von innen heraus kommt.
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Zwischen Unterstützung und Abgrenzung – warum das Aushalten so schwer ist
Doch genau das auszuhalten, ist für Eltern schwer:
- Zuzusehen, wenn das eigene Kind strauchelt.
- Zu akzeptieren, wenn sich gerade nichts bewegt.
- Den eigenen Impuls zu unterdrücken, die Dinge „wieder in Ordnung zu bringen“.
Doch Abgrenzung ist kein Liebesentzug. Sie kann genau der Raum sein, den ein Kind braucht, um eigene Konsequenzen zu spüren und über Veränderung nachzudenken.
Loslassen, ohne die Verbindung zu verlieren
Einen Weg zwischen zwischen Unterstützung und Abgrenzung zu finden, bedeutet nicht, sich zurückzuziehen oder aufzugeben. Wir bleiben da – nicht, um jeden Schritt vorzugeben oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen, sondern um die Verbindung zu halten. Denn es ist die Beziehung zu unserem Kind, die zählt. Gleichzeitig dürfen wir erkennen: Unterstützung und Abgrenzung schließen sich nicht aus. Wir können helfen, ohne uns selbst aufzugeben – und Grenzen setzen, ohne die Nähe zu verlieren.
Ich bin neu hier. Ich weiss seit wenigen Wochen, was ich schon seit Jahren befürchte. Die „Beichte“ unseres Sohn´s war zunächst wie ein Befreiungsschlag. Ich fühlte mich regelrecht erlöst, dass er es endlich zugab, dass er sagte, ein Problem zu haben, dass er auf unglaublich vernünftige Art und Weise erzählte, dass er Hilfe bräuchte und sich auch schon darum gekümmert hätte. Er bat mich, ihm dabei zu helfen, etwas Ordnung in sein Leben zu bringen. Ich war mehr als glücklich und erleichtert, auch wenn das seltsam klingt, denn in all den Jahren davor war jeder Versuch, in dieser Richtung mit ihm zu sprechen, mit Lügen und Abtauchen gekontert worden. Unser Sohn ist heute 22, er hat mit 14 Jahren zu konsumieren begonnen. Er konsumiert hauptsächlich Cannabis, Alkohol und Kokain, aber er hat auch sonst schon einiges durch, immer in hohen Dosen und ohne Maß und Ziel. Er hatte auch schon Konflikt mit der Justiz. Angeblich nur wegen Konsum, ich hab nicht weite nachgefragt, er hätte mich ohnehin belogen.
Jetzt sitz ich hier, unruhig, unglücklich, voller Sorgen und Trauer und Wut und Verzweiflung. Seit über einer Woche ist er von jetzt auf gleich wieder weg. Das hat er schon in der Vergangenheit gemacht, es ist nicht neu für mich, dennoch ist es immer wieder schlimm. Es ist wie ein ständiges Aufreissen einer Wunde, die niemals heilen kann. Ich weiss, dass er große Mengen konsumiert, wenn er abtaucht. Ich weiss, dass er wenig Hemmungen hat, dass er sehr experimentierfreudig und sorglos ist, wenn ihn die Sucht im Griff hat. Ich weiss, dass ihm dann alles egal ist, und ich versuche einfach nur, nicht ununterbrochen an ihn zu denken und mich zu fragen, was ich tun soll, kann, muss. Ich fühle mich hilflos und nutzlos. Wir haben noch eine jüngere Tochter, und ich bin froh, dass sie nicht auf diese schiefe Bahn gerate ist, aber ich merke, dass ich ihr viel weniger Aufmerksamkeit schenken kann, weil ich einfach keine Reserven mehr übrig habe. Das erhöht zusätzlich mein schlechtes Gewissen als Mutter. Ich habe noch nie jemanden um Hilfe gebeten, oder mit jemandem darüber gesprochen. Es ist eine unglaublich große Last, unter der ich inzwischen wirklich sehr leide. Ich kann kaum noch schlafen, nicht klar denken, ständig muss ich weinen, funktioniere weder in der Arbeit noch in der Freizeit. Ich schaffe es einfach nicht, den Kopf frei zu kriegen. Ich tu mir so schwer, loszulassen…. ich liebe ihn doch so sehr, und ich will einfach nur, dass dieser ganze Alptraum endlich endet…
Liebe Kathrin, ich kann dich so gut verstehen! Alles was du sagst, kommt mir bekannt vor. Aus meiner Erfahrung tut es unglaublich gut, sich mit andere auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation sind. Es gibt Elternkreise, in denen sich Eltern gegenseitig stärken und über ihre Erfahrungen sprechen. Wir haben auch regelmäßig online Treffen. Auf unserer Seite findest du unter „Termine – Onlinemeetings“ Hinweise zu den nächsten Treffen. Wir sind dabei, hier ein Forum zu installieren, damit die Vernetzung mit anderen betroffenen Eltern einfacher wird. Wir sind auch bei Instagram und Facebook aktiv (elternsuchtkrankerkinder). Komm einfach mal in eines unserer Meetings. Du bist nicht allein! Wenn du noch Fragen hast, kannst du uns auch gerne über unsere E-Mail Adresse nochmal anschreiben. Vielleicht können wir vermitteln… Viel Mut und Kraft und eine Umarmung von Mutter zu Mutter. Liebe Grüße, Barbara
Liebe Barbara, ich danke dir für deine Antwort. Sie ist wie eine Umarmung, von der ich nicht wusste, wie sehr ich sie brauche. Ich habe in der Nähe keine Selbsthilfegruppe gefunden, aber ich habe mich auf eurer Website sofort angesprochen und abgeholt gefühlt, daher auch meine ersten Zeilen. Es tat unfassbar gut, sich das einmal von der Seele zu schreiben, auch wenn es nur die Gischt der tobenden Gefühlswelt ist, die in mir tobt. Sehr gerne bin ich bei einem eurer Meetings dabei, das will ich mir wirklich gerne einrichten. Ich hab mich noch nicht ganz durch die vielen Informationen durchgelesen, hier steht so vieles, bei dem mir die Tränen fließen und ich mir nur denke: Genau so ist es. Ich kann es nicht fassen, wie tröstend es ist, plötzlich zu erkennen, dass man nicht alleine ist.
Ich habe meinem Sohn heute morgen eine Video-Nachricht an sein Handy gesendet. Es ist nur eine kleine Botschaft, die meine unerschütterliche Liebe zu ihm zum Ausdruck bringen soll. Ich nehme mir fest vor, ihn nicht mehr anzurufen. Er hebt ja ohnehin nicht ab, solange er konsumiert, und so muss er nicht mit weiteren Lügen auf meine Versuche, ihn zu erreichen, reagieren. Das macht alles nur noch schlimmer. Ich hab eine Weile gebraucht, das zu verstehen. Ich kann es nicht ganz lassen, ihm meine Hand immer wieder hin zu halten, weil ich große Angst davor habe, denkleinen Moment zu verpassen, in dem er vielleicht danach greift… aber diese dauerhafte Bereitschaft ist natürlich zermürbend. Ich bin so erleichtert, dass ich eure Seite gefunden habe und danke euch/dir/allen dafür. Es fühlt sich schon jetzt an wie ein zarter Silberstreifen am Horizont. Das weist mir eine Richtung, und das allein ist so unfassbar viel mehr, als ich in den letzten Monaten und Jahren hatte.
Liebe Kathrin, so schön zu lesen, dass du dich verstanden und nicht mehr allein fühlst. Ein kleiner Trost ❤️. Wir freuen uns, dich demnächst in einem unsere online Meetings begrüßen zu dürfen. Alles Liebe, Barbara
Liebe Kathrin.
herzlichen Dank für deine Offenheit. auch ich habe vor einiger Zeit zum Elternkreis gefunden. es war für mich der beste Schritt in eine Welt der Akzeptanz und des Trostes. ich fühle mich nicht mehr so alleine und hoffe das wir dir ein kleines Stück bei Seite stehen können. in einem tollen Seminar beim Elternkreis hatten wir einmal einen so tollen Satz, der steht für etwas ganz besonderes. ich reiche die eine Hand und gemeinsam schaffen wir das.
bis ganz bald
Hallo Ramona, danke dir für deine Zeilen. Es ist tröstend, aber auch traurig und alarmierend, dass es so viele von uns gibt. Ich habe mich bisher immer alleine gefühlt, weil ich dachte, in einem „aufgeklärten“ Daheim kann sowas nicht passieren. Ich hab es selbst geleugnet, nicht wahrhaben wollen, mir lange Zeit eingeredet, dass es schon nicht so schlimm sein wird. Inzwischen weiss ich es leider besser. Aber meine Reise in diese Welt hat gerade erst begonnen. Ich wollte sie nie gehen, aber nun, da sie Teil meines Lebens ist, habe ich keine Wahl. Ich bin sehr froh, wenn mir auf dieser Reise jemand eine Hand reicht und nehme dankend an. Gemeinsam schaffen wir das – zu gern würde ich das glauben. Noch kann ich es nicht erkennen, aber ich bin trotzdem froh, hier auf Leute zu treffen, die mich verstehen und nachvollziehen können.