Interview mit Ise
Welche Rolle haben deine Eltern gespielt bei deinem Weg aus der Sucht?
Puh… gute Frage. Meine Eltern haben tatsächlich recht wenig von meiner Sucht mitbekommen, da ich mich sehr isoliert habe und wir uns generell aufgrund räumlicher Entfernung nicht so oft gesehen haben. (Zur Erklärung: Während der Ausbildung ging es bei mir suchttechnisch erst so richtig los und während dieser Zeit habe ich 150km entfernt von daheim gewohnt)
Es gab eine Zeit, in der ich dann in der selben Stadt wie meine Mutter gewohnt hab und in einem Wutanfall hatte ich ihr an den Kopf geworfen, dass sie mir kein Geld mehr geben solle, weil ich es sonst für Drogen rausschmeiße. In dieser Zeit hat sie sich dann um einen anonymen Beratungstermin in einer Suchtberatung gekümmert. Das war gut, aber zu dem Zeitpunkt noch zu früh für mich, um aufzuhören.
Als ich vor knapp 4 Jahren dann komplett die Hosen runtergelassen habe und gesagt hab, wie schwerwiegend mein Konsum ist, war ich schon in der Selbsthilfegruppe angegliedert, sprich hatte mir schon selbst Hilfe gesucht, ABER auch da haben mich beide (und auch meine Bonusmutti) unterstützt. Haben sich bei offenen Selbsthilfegruppen-Tagen (offen für Bekannte, Familie, Freunde, Interessenten) die Gruppe angeschaut… mehrfach.
Auch zu stationären Therapien haben meine Eltern mich hingefahren, waren bei einer Familienwochen-Therapie mit vor Ort usw.
Wie haben deine Eltern dich unterstützt beim clean werden?
Siehe oben. Sie haben meine Gruppe an offenen Tagen besucht, sich belesen, mir zugehört, mich zu Therapien gefahren, verfolgen auch jetzt meinen Weg auf Instagram.
Hättest du dir eine andere Art der Unterstützung durch deine Eltern gewünscht? Wenn ja, welche?
Hm… als Kind… noch bevor der Konsum angefangen hat, hätte ich mir gewünscht sie hätten mich und meine Bedürfnisse und Beschwerden ernst genommen. Viel Zeit hatten beide aufgrund von anspruchsvollen Berufen nicht und nach der Trennung meiner Eltern als ich 11 war, blieb noch weniger Zeit. Was ich mir gewünscht hätte, wäre tatsächlich mehr AUFMERKSAMKEIT und ZEIT gewesen.
Was können Eltern aus deiner Sicht tun, um die Situation zu Hause zu verbessern bzw. ihrem Kind zu helfen?
Zuhören… hört euren Kindern genau zu. Nehmt sie ernst und spielt NICHTS herunter… egal wie banal ein Problem von einem Kind, Teenie oder jungen Erwachsenen, aus Sicht eines so viel erfahreneren Menschen auch sein mag. In dem Alter und mit dem Wissensstand ist es vllt ein enormes und ganz quälendes Problem. Also bitte nichts abtun und genau zuhören.
Was empfiehlst du andere Eltern?
Ich weiß nicht, wie es ist wenn man konsumierende Eltern hat… die hatte ich glücklicherweise nicht. Aber alles was ich sagen kann, hab ich in der Frage zuvor schon beantwortet, denke ich.
Ich selbst habe zwei Elternteile, die selbst traumatisierte kleine Kinder sind innendrin… und wenn ich mir noch etwas wünschen könnte, dann dass sie sich auch um ihre eigenen seelischen Probleme kümmern. (Leider haben sie da große Angst vor und tun das nicht).
Aber wenn Eltern sich bevor sie Kinder bekämen, schon mit ihren Themen auseinandersetzen würden, wäre das der absolute Idealfall. Erkennen sie ihre Probleme erst wenn sie ihre Kinder schon haben (passiert öfter als man glaubt, die eigenen Kinder sind ja ein wunderbarer Spiegel), dann Zeit freischaufeln und sich trotz elterlichen Verpflichtungen auch um seine eigenen Probleme kümmern. Da ist man zeitgleich auch ein unheimlich gutes Vorbild für seine Kinder. „Ja, Mama/Papa geht’s nicht gut und sie suchen sich Hilfe. Punkt.“
Wie hast du den Besuch zusammen mit deiner Mutter in der Drogenberatungsstelle empfunden? Haben dir die Besuche da in irgendeiner Form geholfen? Wie war das für dich?
Das fasse ich mal ein wenig zusammen: Meine Mutter hatte den Termin damals organisiert und mich auch begleitet. Dort angekommen hat der Berater meine Mutter gleich angewiesen draußen zu bleiben, was ich erst komisch fand aber dann im Nachhinein die absolut richtige Entscheidung war, weil sie ein Teil des Problems darstellte. Ich war etwa 5x dort und konnte mich „einfach auskotzen“, wenn man so will… ich hatte zu dieser Zeit keine Kraft mir einen Therapieplatz zu suchen und war dankbar über diese Form der „Selbsttherapie“. Ich war sehr dankbar für diese Termine dort. Ich bin dann allerdings irgendwann umgezogen und hab mir am neuen Wohnort keine Hilfe gesucht.
Hast du auch Einzelgespräche gehabt? Konnten die Berater dich „erreichen?“
Ich hatte ausschließlich Einzelgespräche dort. Der Berater dort (obwohl es ein Mann war und das für mich immer etwas schwieriger ist aufzumachen) war super kompetent, auf Augenhöhe und nicht in diesem „du solltest/du musst“… daher hat er mich gut erreichen können und mich auch gut aufgeklärt. Bspw über meinen Konsum im Straßenverkehr…was mich erwartet, wenn ich erwischt werde etc.
Wenn du dir den langen Weg, den du zurückgelegt hast, anschaust – was hätte aus deiner Sicht besser laufen können bei deinem Weg aus der Sucht?
Ich musste kurz lachen – was hätte besser laufen können? Ich hätte Jaaaahre vorher beginnen sollen, aber da war ich einfach noch nicht so weit und auch noch nicht an meinem persönlichen Tiefpunkt angekommen und den brauchte ich tatsächlich, um das Ausmaß zu begreifen. Aber was ich deutlich sagen kann: Ich hätte eher Selbsthilfegruppen besuchen sollen. Die waren MEIN SCHLÜSSEL, um aus diesem Karussell auszusteigen… die Gemeinsamkeiten mit anderen Mitgliedern haben mir extrem viel gegeben und mich am allermeisten motiviert, da auch rauszukommen.
Wir Eltern denken oft, wenn wir es schaffen, dass das Kind eine Therapie macht oder zumindest zu einem Therapeuten geht, dann ist das Schwerste geschafft… Aber vermutlich ist das nicht so oder? Was sind deine Erfahrungen?
Ich hatte es grad in der Frage vorher: Für mich persönlich hat es einen absoluten Tiefpunkt und die Kapitulation gebraucht, um zu verstehen, dass sich etwas ändern muss. Meine Eltern haben mich im Teenie-Alter und später nie zu seiner Therapie gezwungen, wofür ich dankbar bin. Allerdings hätten sie im Alter von 6 Jahren die ersten Therapiebesuche weiterführen sollen … auch drauf bestehen. Dann wären viele Dinge vermutlich anders gelaufen und ich hätte vllt eher auf meine Bedürfnisse gehört.
Vielleicht sind wir zu ungeduldig und denken in zu großen Schritten, wodurch wir zu viel Druck auf unsere Kinder ausüben. Und klar, viel zu oft geben wir die Lösungen vor, was natürlich nicht funktionieren kann… Siehst du das auch so?
Was ich glaube richtig cool gefunden hätte (aber das gabs ja damals in der Form noch nicht), wenn Eltern mit mir in so eine Selbsthilfegruppe gegangen wären. Auch wenn es vllt unfreiwillig ist…. Zwang nicht, Widerstand ja… das ist normal… aber das wär cool gewesen.
Vielleicht hast du ja auch mal Lust, in eines unserer online Meetings zu kommen, um von deinen
Erfahrungen zu berichten und Eltern neue Impulse zu geben…
Sehr, sehr gerne! Sagt mir wann, und wir machen uns was aus.