Sören, 34 suchterkrankt (polytox), Depression, Borderline Persönlichkeitsstörung, abstinent lebend:
“Ich bin in einer sehr unruhigen, lauten, unharmonischen, traurigen und einsamen Familie groß geworden. Habe in jungen Jahren viel Trauer, Gewalt, Lautstärke, Heimlichtuereien und Hass erlebt. Bis zu meinem 32 Lebensjahr habe ich dennoch immer und immer wieder die Nähe zu dieser „Familie“ gesucht, die sich mittlerweile meilenweit von einander entfernt hat.
Jeder hat sein eigenes Glück irgendwo gesucht und irgendwo gefunden. Jeder für sich, jeder allein…. Das tut mir heute noch weh, aber ich habe gelernt es zu akzeptieren. Am Ende musste ich vielen toxischen Situationen entkommen & bin heute einfach dankbar, dass ich von diesem Konstrukt „Familie“ befreit bin, mich kennen lernen darf, mir selbst begegnen darf und endlich sooooo viel Luft zum atmen habe.”
Katja, Mutter eines Sohnes (21), computerspielsüchtig:
“Wir haben so ziemlich alles an Einflussmöglichkeiten durch, Bemühen um mehr gute Familienzeit, Einführung von Regeln, Belohnungsprogramme, Verbote… Von unserem Sohn gab es leider immer mehr Aggression und der Corona-Lockdown hat alles noch verschlimmert. Schließlich haben wir ein Ultimatum gestellt, wenn weiterhin die Familienregeln gebrochen werden. Beim ersten Mal kam eine Entschuldigung und das Versprechen, etwas zu ändern, aber schon beim nächsten Mal mussten wir unsere Ankündigung wahr machen.
Wir nahmen ihm die Hausschlüssel ab und baten ihn seine Sachen zu packen und zu gehen. Sein Kleiderschrank und ebenso ein Stofftier haben die Aktion nicht überlebt. Der Kleiderschrank wurde kurz und klein getreten und das Stofftier mit einem Cuttermesser in zig Einzelteile zerschnitten. Seitdem habe ich das Gefühl in einer Blase zu leben. Den Kontakt zu uns hat er mittlerweile komplett abgebrochen. Er hatte nach und nach noch seine restlichen Sachen abgeholt und uns zum unterschreiben einer Mietausfallbürgschaft gebeten, was wir auch gemacht haben.
Letztes Jahr Weihnachten haben wir einen Versuch der Kontaktaufnahme gestartet und ihn zum Essen eingeladen, gerne auch mit Begleitung. Als Konsequenz hat er sämtliche Kontaktmöglichkeiten unterbunden und uns überall möglich blockiert. Das tut schon ziemlich weh, und mein Mann und ich leiden sehr darunter. Ich bin mittlerweile seit einem dreiviertel Jahr mit Burnout, Depressionen und Panikattacken krankgeschrieben. Es vergeht kein Tag, dass ich nicht an ihn denken muss und oftmals denke ich auch, dass wir zu weit gegangen sind.
Dann wiederum denke ich, dass es das einzig Richtige war, was wir machen konnten. Seit dem Vorfall vor 3 Jahren besuchen wir in unserer Nähe wöchentlich eine Selbsthilfegruppe, den Freundeskreis für Suchtkranke und Angehörige. Die Gruppe hat uns sehr gut aufgefangen und wir haben viel an uns seitdem gearbeitet, um das Geschehene besser verarbeiten zu können.”
Lea, 19, abhängig:
“Ich bin in einer Pflegefamilie und in einem Kinderheim aufgewachsen. Meine Mutter starb als ich 13 war. Sie war alkoholkrank, ebenso wie mein Vater. Ich habe nie bei ihr gelebt. Seit ich 13 war, bin ich abhängig von verschiedenen Drogen, seit 1,5 Jahren von Heroin. Meine einzige Vertrauensperson ist meine große Schwester. Aber sie brach den Kontakt zu mir ab wegen der Drogen – ich vermute aus Angst, dasselbe wie mit unserer Mutter noch einmal zu erleben.
Meine Schwester hat inzwischen eine eigene Familie und zwei Kinder. Vielleicht dachte sie auch, dass ich erstmal alleine dastehen muss und dann mit den Drogen aufhören würde. Das war aber nicht der Fall, denn dadurch, dass ich allein dastand, hatte ich keinen Grund mehr, clean zu bleiben und wollte den Schmerz, sie verloren zu haben, nicht mehr fühlen… leider denken viele Bezugspersonen eines Abhängigen, dass es hilft, wenn man den Kontakt abbricht, dass die Abhängigen erstmal richtig hinfallen müssen, aber das macht es meist nur noch schlimmer. Leider habe ich bis heute keinen Kontakt zu meiner großen Schwester, obwohl ich das sehr gerne hätte, weil sie mir sehr viel bedeutet.”